Richard Strauss an Manfred I. Mautner Markhof in der tiefen Verzweiflung des Jahres 1941
Richard Strauss hatte Manfred I. durch eine Intervention bei Goebbels besonders geholfen. Mit den überlieferten Worten: „Er ist ein Freund, da muss es sich um einen Irrtum handeln“, holte er ihn aus dem Gestapogefängnis heraus. Im Gegenzug versteckte dieser dann Richard Strauss´ Enkel Richard, der wiederum eine jüdische Mutter hatte, als Arbeiter getarnt in der Simmeringer Fabrik. Dadurch wurde eine freundschaftliche Beziehung der Familien auch bis in die nächste Generation erhalten, denn ebendieser Richard wiederum vertraute mir wiederum in den 1980er Jahren den Berufseinstieg seiner Tochter Madelaine in die Werbung an.
Der folgende Brief ist der Familie handschriftlich erhalten und schildert bewegend die verzweifelte Stimmung, in der sich Richard Strauss im Winter des Jahres 1944 befunden hatte.
Garmisch 24.1.44
Lieber Freund Manfred!
Nach vielem Hangen und Bangen u. Ihren, leider nur allzu berechtigten Sorgen traf zu erster Beruhigung endlich Christian mit dem braven Martin glücklich hier ein u. berichtete, wie liebevoll Sie u. die liebe Pussi sich meiner obdachlosen Kinder angenommen haben. Vielen innigen Dank auch von der sehr verzweifelten Pauline! In meinem zerstörten Leben ist nun die Familie der letzte und einzige Lichtblick (ich danke besonders, daß Sie Richard in Ihre Obhut genommen haben, wenn ich mir auch seine Zukunft etwas anders gedacht habe). Daß auch bei Ihnen schon Manches Schlimmes passiert ist, höre ich mit großem Bedauern. Hoffentlich bleibt wenigstens Ihr schönes neues Heim erhalten, wenn auch ich von den fröhlichen Stunden daselbst für immer Abschied nehmen muß. Vielleicht kommen Sie doch einmal noch
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her, wo wir (vorläufig noch!) im „schönsten Eckchen“ der Welt ein Erinnerungsskatchen spielen könnten. Im Nachbarhause kann ich sogar mit einer kleinen Bildergalerie (eine sehr schön erhaltene oberitalienische Madonna u. ein sehr originelles Piazetta) aufwarten, im Hause mit einer neuen Bearbeitung des Rosencavalierwalzers aufwarten, den die lieben Philharmoniker bei meiner demnächst bevorstehenden Beerdigung spielen mögen, damit ich nicht gar zu traurig zu meinem Namenskollegen in den Walzerhimmel eingehe. Denn mit meinem Leben ist es seit dem 16. August zu Ende. Mein Lebenswerk ist zerstört, die deutsche Oper kaputtgeschlagen, die deutsche Musik in dem Inferno der Maschine verbannt, wo ihre gequälte Seele ein armseliges Jammerdasein fristet, mein liebes schönes kleines Haus, auf das ich so stolz war in Schutt und
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Asche – meine Werke werde ich auf dieser Welt nicht mehr hören und sehen – ich wollte Mozart u. Schubert hätten mich nach dem 80.ten zu sich in’s Elysium genommen, ich hätte Gluck dann auch die schöne Büste mitbringen können. Na, Schwamm drüber! Über Alles! Jetzt hoffe ich nur, daß meine unverbesserlich optimistischen Kinder mit heiler Haut aus dem Grausen des armen schönen lieben Wien herauskommen. Wir haben schon Alles zu ihrer Aufnahme vorbereitet: was sie an Mobiliar u. Hausrat mitbringen, wird untergebracht. Ich bemühe mich über den militärischen Weg, der sich dank dem braven General Schubert (den ich schon gestern einen Dankesbrief geschrieben habe) als der einzig gangbare erwiesen hat, vielleicht noch einen zweiten Möbelwagen aufzutreiben, ebenso hier den Boden für „Rasseschänder“ u. „Mischlinge“ noch weiter vorzubereiten!1 Morgen
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erfahre ich Näheres, werde auch versuchen, eine Reserveschupfen anlegen zu lassen, vielleicht auch via Wehrmacht. Jedenfalls können die Kinder so bald als möglich ins warme Bettchen kommen, wo sich Christian bereits pudelwohl fühlt. Bitte zeigen Sie Bubi diesen Brief – ich kann nicht noch mal Alles schreiben. Ich gebe erst wieder Nachricht, wenn Neues zu melden. Meine arme Frau hat sich jetzt auch etwas beruhigt u. grüßt mit mir herzlich – das ganze liebe Haus Mautner nebst den verehrten Eltern u. den stets heitern „Bei mir“! u. den lieben armen Böhm wie oft denke ich an ihn u. seine schöne Strausswoche!
Vorbei – vorbei heißts im Capriccio!
In alter Treue Ihr
Richard Strauss
1 Strauss spielt darauf an, dass sein Sohn Franz mit der Jüdin Alice verheiratet ist und deren Sohn Richard nach der Rassenideologie der Nationalsozialisten seit den Nürnberger Gesetzen (1935) als jüdischer Mischling galt.
Die handschriftlichen Zeilen Richard Strauss´ an seinen Freund Manfred I. Mautner Markhof
Verfasst von Theodor Heinrich Mautner Markhof