Schwechat in Zeiten der NSDAP
Mit dem Einmarsch der Deutschen brach eine sehr schwierige Zeit an, nicht in geschäftlicher Hinsicht, denn der Absatz Schwechats stieg raketenartig auf über eine Million Hektoliter an – wohl aber in persönlicher Hinsicht.
Georg III. hatte sich im Sommer 1935, während der Verhandlungen um die Übernahme St. Georgs in die Vereinigten Brauereien vom Generaldirektor der Brau AG, Julius Seiler, mit dem er sehr freundschaftliche Beziehungen pflegte und der die anerkannteste Autorität in der österreichischen Brauindustrie, nach dem Ableben Schneebergers, war, ein Gutachten über den Wert der gesamten Einrichtung St. Georgs geben lassen. Es beruhte auf der Bewertung von fixen Sätzen von Sudhaus, Lagerkeller, Gärkeller, etc. nach deren Größe. Diese Bewertung ergab nach Herabsetzung des St. Georg-Kapitals auf neunzig Millionen Schilling / 6.540.555,- EUR auf die Hälfte, durch entsprechende Verringerung der bestimmt uneinbringlichen Debitoren, einen Betrag von vierundfünfzig Millionen Schilling / 3.924.333,- EUR. Dieses Gutachten Seilers über den Wert der Einrichtung St. Georgs hat Georg III. in Folge das Leben gerettet, ihn jedoch in jedem Fall vor jahrelanger Haft bewahrt. Die NSDAP hatte nämlich 1939 gegen ihn eine gerichtliche Voruntersuchung mit zwei Anklageposten eingeleitet. Der erste Punkt lautete, er hätte die Majorität der Vereinigten Brauereien AG zu billig gekauft und damit das Volksvermögen geschädigt. Seine Antwort war, dass man doch höchstens den Bankinstituten vorwerfen könne, sie hätten zu billig verkauft, aber nicht ihm, dass er zu billig gekauft hätte. Van Hengel, der holländische Generaldirektor der Creditanstalt war inzwischen bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen und die verschiedenen Bankdirektoren in alle Winde verweht worden. Georgs Anwalt, Dr. Armin von Dittrich, konnte also diesen ersten Punkt eliminieren. Der zweite Anklagepunkt lautete, dass die Brauerei St. Georg zu teuer an Schwechat verkauft worden war und auch damit wiederum das Volksvermögen geschädigt worden wäre. Da nun Generaldirektor Seiler in der Ostmark der einzige Fachmann auf dem Gebiet der Bewertung von Brauereieinrichtungen war, so musste wohl auch sein Gutachten bezüglich St. Georg zur Kenntnis genommen werden. Dr. von Dittrich erreichte schließlich die Einstellung der Voruntersuchung zur Eröffnung der eigentlichen Untersuchung.
Unmittelbar nach dem Anschluss stellte sich auch heraus, dass es in Schwechat eine sehr aktive geschlossene illegale Zelle der NSDAP gab. Ihr gehörten nicht nur der technische Direktor Schreder, sondern auch die Mehrzahl aller prominenten Beamten, wie der Braumeister, der Leiter der Mälzerei, der Sekretär des Generaldirektors, die Leiter des Kundenschutzbüros, des Laboratoriums, des Auto-, Maschinen- und Elektrobetriebes, etc., an. Zum Vergleich sei erwähnt, dass es in Simmering, wie sich 1938 zeigte, nur zwei Illegale gab; die Sekretärin und den Chauffeur des Generaldirektors. Ing. Schreder, den Georg III. besonders geschätzt, ihn sogar 1937 als Trauzeugen gebeten hatte, war ein besonderer Schock und eine enorme Enttäuschung. Wie er später bewiesen hatte, war er zwar sehr intelligent und tüchtig, doch beispiellos charakterlos gewesen. Ende April 1938 hielt der Leiter der Deutschen Arbeitsfront, Dr. Robert Ley, eine ganz besondere Versammlung in der Autohalle in Schwechat ab. Nach seiner Rede wurde im Lautsprecher verkündet, dass der nunmehrige Betriebsführer antworten würde. Als Georg III. sich zu diesem Zweck erhoben hatte, meldete sich bereits Schreder und hielt Ansprache. Nach der Versammlung setzte Georg III. ein Zeichen und „schüttelte ihn wie ein lästiges Insekt ab“. Die NSDAP-Verschwörer wurden teils noch 1938, teils nach dem Krieg aus dem Unternehmen entfernt. Nach dem Rencontre mit Schreder stellte die Partei das Verlangen nach dem sofortigen Rücktritt von Georg III., dem dieser jedoch nicht entsprach, sondern seinerseits ankündigte Ing. Schreder fristlos zu entlassen. Daraufhin folgte eine hochnotpeinliche Untersuchung, während derer einwöchigen Dauer Georg III. untersagt wurde Schwechat zu betreten. Obwohl die Partei ihm nach der Untersuchung erstaunlicherweise völlig recht gab, konnte sie jedoch unter keinen Umständen offiziell eine derartige Niederlage auf sich nehmen. Georg III. kam ihnen jedoch mit seiner freiwilligen Rücktrittserklärung vom 31. Juli 1938 zuvor. Am 1. August trat nämlich das deutsche Aktienrecht in Kraft, das keinen Verwaltungsrat, sondern einen Aufsichtsrat und Vorstand vorsieht. Karl Dittl von Wehrberg wurde daraufhin zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates bestellt, die stellvertretenden Vorsitzenden waren Richard von Schoeller und Manfred I., Mitglied wurde Gerhard Mautner Markhof, im Vorstand verblieb Gustav Mautner Markhof (Viererzug). Georg III. schied aus allen Vertretungskörpern aus und zog sich wieder nach Simmering zurück.
Im Frühjahr 1939 wurde Manfred I., in der Schwechater Zentrale, gleichzeitig mit Georg III., in Simmering, von der Gestapo verhaftet und ins Polizeigefängnis eingeliefert. Nach fünf Tagen wurden beide wieder entlassen, jedoch als Georg III. eine Woche später neuerdings verhaftet wurde, konnte er vor seiner Abführung noch Manfred I. verständigen, sodass dieser rechtzeitig entfliehen konnte. Nacht für Nacht in einem anderen Hotel wohnend, war dieser in Deutschland untergetaucht, um dann, nachdem man ihm versichert hatte, dass alles in schönster Ordnung sei, bei seiner Rückkehr nach Wien doch verhaftet zu werden. Georgs Haft dauerte neun Wochen, Manfreds sechs. Danach wurden beide zum Gauleiter Bürckel gebracht, der sich bereit erklärte mit beiden einen Pakt zu schließen. Bei Ablehnung würden sie ins KZ entsandt werden. Der Pakt sah vor, dass Georg III. sich jeglicher geschäftlichen Tätigkeit in Österreich zu enthalten hätte, es ihm jedoch gestattet war seine Auslandsinteressen wahrzunehmen. Es wurde auch kategorisch verlangt, dass die Familie ihren dominierenden Status in Schwechat aufzugeben hätte und, um dies zu dokumentieren, sofort einen Teil der Aktien verkaufen müsse. Man solle im Gegenzug versuchen, den Einfluss auf die Brauerei Schwechat gegen einen auf irgendeine andere Großbrauerei in Deutschland einzutauschen. Selbstverständlich erklärten sich beide bereit, wurden am kommenden Tag entlassen und am übernächsten übersiedelte Georg III. bereits nach Deutschland, um eine weitere Verhaftung zu vermeiden. Er verkaufte dann 3 % von Schwechat (zum Tageskurs) an die Leipnik-Lundenburger Zuckerfabriken, Manfred 1 %. An der Stimmmajorität von 57 ½ Prozent änderte dieser Verkauf nichts, erfüllte aber formell den Wunsch der NSDAP. Tatsächlich gestattete die NSDAP Georg III. bis 1943 ins befreundete wie neutrale Ausland zu reisen, also nach Italien, die Schweiz und Spanien. Er selbst konnte sich nie erklären, warum man ihn einerseits für so staatsfeindlich hielt, dass er in der Ostmark nicht arbeiten, aber gleichzeitig frei ausreisen durfte. Ein Fachmann bezüglich nationalsozialistischer Tricks klärte ihn später darüber auf: Bei der NSDAP musste alles „legal“ vor sich gehen. Man ließ ihn daher ins Ausland reisen, in der sicheren Hoffnung, dass er nicht zurückkommen würde. In diesem Fall hätte man „legal“ im Sinne der Sippenhaftung das ganze Familienvermögen eingezogen. Zur Verzweiflung der Gestapo jedoch kam er immer wieder zurück. Bis 1943 – ab diesem Zeitpunkt hatte er keine Ausreisegenehmigung mehr erhalten.
Quelle: Vortrag „Schwechat und die Familie Mautner Markhof“, gehalten
von DDr. Georg Mautner Markhof am 5. Juni 1974