Victor Gottlieb Johann Ritter Mautner von Markhof / 5.7.1865 – 10.5.1919
Victor wurde in Wien als zweites Kind von Carl Ferdinand und dessen erster Frau Johanna Leopoldine Kleinoschegg geboren. Er hatte sechs leibliche und in Folge der zweiten Ehe seines Vaters, drei Halbschwestern. Seine Ausbildung war konventionell, er studierte an der Technischen Hochschule in Wien und absolvierte die Brauerei- und landwirtschaftliche Hochschule in Weihenstephan in Bayern. Als er sieben Jahre alt war nobilitierte Adolf Ignaz zum Ritter, und so lernte er bereits in frühen Jahren das Leben der Privilegierten kennen. Im Gegensatz zu seinem Großvater und Vater schon im Wohlstand aufgewachsen, sah er seinen Lebenspol weniger in Arbeit und Aufbau als in Genuss und Verbrauch. Dies mag auch einer der Gründe gewesen sein, warum Carl Ferdinand 1889 die Fortdauer der väterlichen Gewalt durch die Pflegschaftsbehörde auf unbestimmte Zeit verlängerte, obwohl Victor damals bereits 26 Jahre alt war Amtsblatt zur Wiener Zeitung, 14. Mai 1889, 696. Unbestritten ist, dass Carl Ferdinand auch das Desinteresse seines Sohnes an der Unternehmensführung geahnt hatte, denn er versuchte seinen Schwiegersohn Ludwig Schürer von Waldheim, den Mann seiner Tochter Cornelia, für das Braugewerbe und die Mitarbeit zu begeistern. Dieser konnte sich aber zunächst nicht entschließen und verstarb dann schon viel zu früh 1894. Carl Ferdinand plante daraufhin sogar noch, die Brauerei in eine Aktiengesellschaft einzubringen, aber der Tod kam der Umsetzung zuvor Neue Freie Presse, 13. Dezember 1896, 10.
So erbte Victor als einziger Sohn mit 41 Jahren die Betriebe von St. Marx und Simmering, in denen er schon rund 20 Jahre mitgearbeitet hatte. Er war von 1906 bis 1909 wie sein Vater Präsident des Brauherrenvereins und man kann auf keinen Fall behaupten, dass er vom Braugeschäft nichts verstand. Nach dem Tod Carl Ferdinands musste er jedoch seine neun Schwestern auszahlen, was natürlich auf erhebliche Schwierigkeiten stieß und das Unternehmensbudget sehr belastete. Auch erwartete die Familie besondere Leistungen von ihm, denn ein paar Kilometer stadtauswärts agierte höchst erfolgreich Anton Dreher d. J, dessen Produktionsziffern der Klein-Schwechater Brauerei es zu übertreffen galt. Das wäre ihm 1910 mit 560.000 Hektolitern (nur 2 Prozent hinter Dreher) auch fast gelungen. Aber die technische Ausstattung veraltete immer mehr und die adaptierten Klostergebäude wurden immer baufälliger, sodass St. Marx noch während des Ersten Weltkriegs, 1916, geschlossen werden musste. Vielleicht wäre es auch besser gelaufen, wenn ihm ein Spitzenbeamter wie Alfons Erhard zur Verfügung gestanden wäre, der als 24-Jähriger nach Wien gekommen war und bei Victors Vater in der St. Marxer Betriebsverwaltung begonnen hatte. Bereits ein Jahr später wurde er jedoch von Anton Dreher abgeworben, leitete zuerst dessen und später die Vereinigte Brauerei lange Jahre mit großem Erfolg und wurde ab 1908 als erstes Nicht- Mitglied einer Brauherrenfamilie Präsident des Brauherrenvereins und damit ein sehr einflussreicher Mann in der Wiener Brauwirtschaft Paleczny, Die Wiener Brauherren (Anm. 1), 75. Nach einem anderen Partner Ausschau haltend, versuchte Victor ab 1900 seinen Cousin Kuno (jüngster Sohn von Georg Heinrich) als späteren Nachfolger aufzubauen. Doch auch der damals erst 21jährige widmete sich vorerst lieber mehr dem Clubleben als der Unternehmensführung. Erst später entwickelte er sich zu einem anerkannten Brauwissenschaftler und hatte sowohl in der Österreichischen Versuchsstation für Gärungsgewerbe als auch dem Österreichischen Brauerbund das Amt des Präsidenten inne. Nach Victors Tod war er in der Vereinigten Brauerei solange sein Nachfolger, bis die Familie dort ihren Einfluss im Verwaltungsrat abgeben musste.
Unentwegt war er einem Vergleich mit Anton Dreher ausgesetzt. Dieser erzeugte das hoch gelobte Lagerbier, Victor produzierte das als alkoholarmes Volksbier bezeichnete Abzugsbier. Dreher war Präsident der Vereinigten Brauerei, Victor nur Vizepräsident. Dreher hatte drei Söhne, Victor blieb kinderlos. Als er hörte, dass sein Konkurrent einen Dreher-Marsch in Auftrag gegeben hatte, bestellte er bei einem Verwandten seiner Frau einen Mautner Markhof-Marsch. Auch bei seiner größten Passion, dem Pferderennsport war im Dreher jahrelang immer ein Stückchen voraus. Als er 1917 mit seinem Wunderpferd San Gennaro den Sieg beim Wiener Derby verbuchen konnte, hatte er nur erreicht, was Anton Dreher vor ihm bereits zweimal geschafft hatte. Dreher war im feudalen Jockeyklub Direktionsmitglied, Victor schaffte die Aufnahme in dessen Rennkomitee erst kurz vor seinem Ableben.
Unbestritten ist, dass er sich beim Pferdesport wohler fühlte als in der Brauerei, was durch unzählige Zeitungsmeldungen dokumentiert ist. Er widmete sich vorerst dem bis in die 1890er Jahre in Wien sehr populärem sportlichen Rennfahren mit Kutschen. Neben Fürst Esterhazy war er der Einzige, der ausschließlich Schimmel vor seine Wagen spannte. Später baute er bei Marchegg ein Vollblutgestüt auf, dessen Pferde in der Freudenau besonders in den Kriegsjahren sehr oft als Sieger diverser Rennen aufschienen. Seine Jockeys trugen die Farben Weiß mit roter Schärpe und Ärmeln und einer blauen Kappe. In dieser Zeit war er der erfolgreichste Rennstallbesitzer und konnte zwischen 1912 und 1918 jedes Jahr die höchsten Gewinnsummen erreichen. 1917 gewann er fast eine Million Kronen, im letzten Kriegsjahr 1918 mit 788.000 Kronen das Doppelte des zweitplatzierten Rennstalls der Familie Rothschild Fremdenblatt, 16. Februar 1919, 19. Leider starb er nur wenig später, und der Wert des Geldes wurde von der Inflation fast völlig vernichtet.
Da Carl Ferdinand seinen einzigen Sohn natürlich gerne im Sinne der damaligen Zeit und des neugewonnenen sozialen Standes gut verheiraten wollte, musste Victor bis nach dem Tod seines Vaters warten, um seiner große Liebe, die Soubrette Helene Kosnapfl, heiraten zu können. Helene hatte zwar kleinere Engagements in diversen Wiener Theatern, war aber eher Lebedame als Künstlerin. Als Victor von seinem Vater auf eine Reise nach Amerika geschickt wurde, ließ er sie nachfolgen, um nicht von ihr getrennt zu sein. Mit Helene zog er nach der Eheschließung am 24.11.1901 in das Palais Sternberg in der Ungargasse 41–43. Auf der Rennbahn war Helene eine der bekanntesten Erscheinungen, ihre Garderobe wurde von der Presse immer genau unter Augenschein genommen und fast in jeder Ausgabe des „Salonblattes“ besonders kommentiert.
Doch wurde nicht nur Geld in Pferdesport und Gesellschaftsleben investiert, Victor war auch sehr bestrebt darin das gemeinnützige Erbe seines Großvaters und Vaters weiterzuführen. Er kümmerte sich mit der Mautner Markhof-Stiftung weiter um die Förderung des Gesundheitswesens, beispielsweise durch den Ankauf des ersten Röntgenapparats für sein Kinderspital in Wien. Seinen Angestellten bezahlte er zum Kaiserjubiläum 1898 einen doppelten Monatslohn und wendete in diesem Jahr für Sozialleistungen gleich 50.000 Gulden auf. Auch wenn er bei Weitem nicht mehr die gespendeten Volumina seiner Vorfahren erreichen konnte, so finanzierte er doch auf eigene Kosten (zu einem Zeitpunkt, an dem er angeblich bereits konkursreif gewesen sein soll) in seinem Gestüt auf dem Markhof bei Marchegg ein Kriegsspital für 100 Versehrte.
Wegen seiner Noblesse, Freundlichkeit und Großzügigkeit war Victor auch in der Wiener Gesellschaft sehr geschätzt. Er war eine populäre Erscheinung und ein eleganter Lebemann. Wenn man die Zeitungsmeldungen über ihn studiert, muss man zu dem Schluss kommen, dass er nicht nur einer der bekanntesten, sondern auch einer der erfolgreichsten Bürger in den letzten Jahren der Monarchie war. 1910 lag sein Jahreseinkommen bei mehr als 1,5 Millionen Kronen, während die Cousins Georg II. Anton und Theodor I. mit 200.000 und 300.000 Kronen die Ränge 216 und 267 der reichsten Wiener einnahmen. Ungeschlagen jedoch auch hier Anton Dreher mit 2,6 Millionen Kronen, dem damals siebthöchsten Jahreseinkommen. Dabei spielten seine hohen Gewinne aus dem Pferderennsport noch kaum eine Rolle, weil diese erst nach 1912 erzielt wurden Studie Roman Sandgruber.
Seine Spielleidenschaft wurde von Familienmitgliedern folgendermaßen kommentiert: „Man soll Victors Spielleidenschaft nicht immer nur kritisieren. Seine manchmal immensen Verluste haben der Familie den Ruf eingetragen, reich zu sein. In gewissem Sinne war er es, der die Familie wirklich populär gemacht hat“ Manfred I. Mautner Markhof, Haltestellen und Stationen in meinem Leben. „Victor ist ein Gentleman. Ohne mit der Wimper zu zucken, verspielt er in mancher Nacht gewaltige Summen. Da er dank des von seinem Vater erhaltenen Erbes über ein beträchtliches Vermögen verfügt, kann er derartige Aderlässe ohne weiteres verkraften“ Georg J. E., Von Irgendwo in alle Welt. „Wenn er wirklich sein Vermögen verspielt hätte, wäre er weder in der Lage gewesen, seine neun Schwestern auszuzahlen, noch ihnen so viel zu hinterlassen. Mein Onkel besaß – wie schon gesagt – einen bekannten Rennstall und eine Pferdezucht. Wie die meisten wohlhabenden Herren seiner Zeit war er Mitglied eines Clubs, wo man sicher um hohe Summen spielte – was er sich leisten konnte und deshalb nicht sein Vermögen verlor. Es ist mir ein Bedürfnis, diese Angelegenheit klarzustellen, da ich wahrscheinlich die letzte Familienangehörige bin, die diese Zeit als erwachsener Mensch erlebt hat“ Seine Nichte Maria Blühdorn geb. Schenk zu Castel, Familienchronik Carl Ferdinand.
Mit seinen Cousins kam es zum Familienkonflikt, als Victor 1913 gegen ihren Willen am 23. Juni mit Dreher und Meichl fusionierte. Victor sah wegen eines Steuerrückstands von 1,5 Millionen Kronen, mangels eines Erben und wegen seiner schweren Krankheit keine Zukunft im St. Marxer Betrieb. Er verkaufte den „Floridsdorfern“ zwar die Simmeringer Presshefefabrik, auf die sein Großvater so stolz war, die Brauerei, die sie liebend gern selbständig weitergeführt beziehungsweise mit St. Georg vereinigt hätten, jedoch nicht. Bei den Vereinigten Brauereien wurde Anton Dreher Präsident des Verwaltungsrats, die Familie Mautner Markhof stellte mit Victor und nach seinem Tod mit Kuno bis 1926 einen der Vizepräsidenten. Aus heutiger Sicht rettete diese Entscheidung das Erbe von Adolf Ignaz, denn St. Marx hätte ohne Fusion den Ersten Weltkrieg nicht überlebt und es hätte in weiterer Folge keine Möglichkeit gegeben, die Vereinigten Brauereien 1936 zurückzukaufen. 1916 musste Victor noch mit ansehen, wie man kriegsbedingt das letzte Bierfass mit Dünnbier befüllte und dann die Produktion für alle Zeiten schloss.
Victor war sicherlich die unglücklichste Figur der Wiener Brauherrengeschichte. Er scheiterte an den fast unbewältigbaren Vorgaben, in die er hineingeboren wurde Palecczny, Die Wiener Brauherren. Er war die letzten Jahre seines Lebens schwer krank und musste einige Operationen über sich ergehen lassen, so dass sein Tod als Erlösung von den schweren Leiden gesehen wurde.
Ein Großteil seines Vermögens waren natürlich die Brauereiaktien (die übrigen Wertpapiere waren bereits meist wertlose Kriegsanleihen). Daneben verfügte er über Wertgegenstände in Höhe von einer halben Million Kronen (Bilder, Antiquitäten), über das Haus in der Ungargasse und das Gestüt Markhof bei Marchegg mit rund 60 Pferden, das nach Abzug der Passiva noch einen Wert von 1,5 Millionen Kronen repräsentierte. Helene war nicht in der Lage dieses durchaus lukrative Gestüt weiterzuführen und verkaufte es rasch um fünf Millionen Mark an zwei reichsdeutsche Rennstallbesitzer. Laut seinem Testament schlug er vor, dass seine Gattin die rund 33.000 Aktien (damaliger Wert circa 11,6 Millionen Kronen) der Vereinigten Brauereien an Anton Dreher verkaufen solle, um vom Erlös dieser Transaktion seine Gesamtschulden von ca. 6 Mio. Kronen zu bezahlen. Die restlichen 4 1⁄2 Mio. sollten uneingeschränktes Eigentum seiner Frau bleiben, jedoch mit dem Zusatz, dass nach ihrem Tode das von ihm ererbte (nicht jedoch ihr eigenes heutiges Vermögen) bis auf 1/5 des Wertes über welches sie frei testamentarisch verfügen könne, seinen rechten 6 Schwestern oder deren gesetzlichen Nachfolgern zufällt. Damit blieb ein beträchtlicher Teil der Aktien gesperrt, damit sie nach Helenes Tod direkt an seine leiblichen Schwestern ausbezahlt werden konnten. In der Verlassenschaftsabhandlung findet man zahlreiche Eingaben vor allem der älteren Schwestern an das Handelsgericht, die so rasch wie möglich an diese Aktien herankommen und sie verkaufen wollten. Fast alle Schwestern waren inzwischen verwitwet und so liegt der Schluss nahe, dass sie einerseits aus finanziellen Notlagen und andererseits aus Desinteresse am Unternehmensbesitz verkaufen und sich so den gewohnt hohen Lebensstandard nach dem Ersten Weltkrieg weiter finanzieren wollten.
Der Nachlass seiner Witwe Helene, die 1926 während einer Kinovorstellung starb, wurde ein Jahr später im Auktionshaus für Altertümer Glückselig GmbH versteigert, wobei als teuerstes Stück eine spanische Elfenbein-Madonna, weiters 92 Gemälde alter Meister (darunter Bilder von Van Dyck und Jan Brueghel), 154 Gemälde neuer Meister (darunter Bilder von Gauermann, Jacob Alt, Makart und Pettenkofen), je 130 Ziergegenstände und Möbel sowie Skulpturen unter den Hammer kamen. Helene hatte keine Erben, sodass die Schwestern von Victor auch in den Genuss dieser Vermögenswerte kamen. In den 1930iger Jahren verkauften sie die Brauereiaktien zu einem Spottpreis, womit der Familieneinfluss an der Brauerei für viele Jahre fast völlig verloren ging. Laut Familienchronik bekamen sie für ihre Aktien nur 24 Prozent Nominale, obwohl damals 70 Prozent durchaus angemessen gewesen wären. Tatsächlich litten die Aktien in den frühen 1930er Jahren unter starken Kursverlusten.
Carl Ferdinand, seine beiden Gattinnen, Victor und Helene liegen in der Hietzinger Familiengruft bestattet.