Briefe an Gustav II. von Reininghaus
Die Briefe an Gustav II. von Reininghaus, der schon vor seiner Geburt seinen Vater verloren hatte, sind sowohl von liebevoller Zuneigung als auch gleichzeitig wachsamer Besorgnis gekennzeichnet. Geschrieben rund um das Ableben seines Großvaters, spiegeln sie auch die große Trauer wider, in der dieser schmerzliche Verlust die Familie zurückgelassen hat. Johann Peter und Therese, Onkel Moritz Piffl und Stiefvater Paul Reininghaus 1899 – 1902.
Metahof, am 7. Sept. 1899
Lieber Gustav!
Deine lieben Brief vom 4ten empfing ich erst vorgestern. Er macht mir große Freude. Besonders freut es mich, dass es dir in deinen neuen Verhältnissen gefällt, und du mit allem zufrieden bist. Auch ist dein Brief in Schrift und Stil gut geschrieben, doch darfst du dabei nicht stehen bleiben, sondern musst dich immer noch zu verbessern trachten. Mein Befinden will sich noch immer nicht bessern. An meinem Geb. Tage ging es mir insbesondere nicht gut. Ich konnte mein Zimmer nicht verlassen und musste meistens zu Bett bleiben. Seit gestern regnet es ununterbrochen. Unser liebes Braut- oder vielmehr junges Ehepaar schreibt glückliche Briefe und befindet sich augenblicklich in Venedig. Wann ich mit der teuren Großmama nach Abazzia fahren werde, darüber verlautet noch nichts. Mit dem Schreiben geht es mir noch immer schlecht und so entschuldigst du wohl, wenn ich schließe.
Bleibe immer brav und gesund
Dein dich liebender Großpapa
Metahof, 15. Mai 1901
Lieber Gusti!
Es ist mir ein Bedürfnis, bevor ich von hier nach Meran abreise, diese Zeilen an dich zu richten, um dir zu sagen, wie die ganze Bevölkerung von Graz vom Statthalter und Bürgermeister an bis zum letzten Arbeiter an unserem tiefen Schmerz um den unersetzlichen Verlust des teuren Großpapas teilgenommen hat. Unser ganzer Zug vom Metahof bis zum Friedhofe ging durch ein Spalier, das sich 6–8 Mann hoch zu beiden Seiten aufgebaut hatte. 146 Kränze waren auf dem Sarge des Verblichenen niedergelegt worden. Tante Luise Anm.: Ludovika Antonie, geb. v. Reininghaus, welche unwohl geworden war, hatte ich mit Grete Anm.: Margarete, 3. Kind in Meran zurücklassen müssen. Die liebe Großmama fand ich mutig und aufrecht – und selbst Tante Emma Anm.: Emilie Keil v. Bündten, geb. v. Reininghaus verstand es, ihre Kraft zusammenzunehmen und auszuharren. Der unvergessliche Großpapa hatte sein ganzes langes Leben der Arbeit gewidmet, und ist dabei ein Mann von seltener Einfachheit und Anspruchslosigkeit geblieben, dessen größte Freude darin bestand, die Seinigen glücklich und zufrieden zu wissen. Arbeit, spartanische Bedürfnislosigkeit und Familiensinn, in diese drei Worte möchte ich schlicht und ungeziert das teure Leben des Verklärten zusammenfassen. So soll es als ein Vorbild leuchtend fortan in unserer heiligen Erinnerung eingeprägt bleiben. Sei freudig-stolz, lieber Gusti, auf den Namen, den du trägst, und mache es dir zur eigenen Lebensaufgabe, dem bereits vorhandenen Ehrenkranze neue Blätter einzufügen.
Sei herzlichst geküsst und gegrüßt
vom Onkel Moriz
Die höflichsten Empfehlungen von Frau Dr. Grassberger und Herrn Prof. Ehrez.
12.6. Anm.: 1901
Mein lieber Gusti!
Ich bin seit 14 Tagen in Sarnegg, mich in ländlicher Ruhe und liebevoller Pflege von Tante Elsa und O. Edmund zu erholen und zu kräftigen, was inzwischen auch gelungen ist, fern von den Räumen, die auf jedem Schritte die schmerzliche Bangigkeit nach dem teuren Großpapa wachrufen. Unter den vielen Sorgen, die mich auch sonst beschweren, steht die größte um deine Studien, deren Erfolg im laufenden Jahre, so ernste Entscheidung für deine Zukunft bringt. Wirst du aufsteigen und die Realstudien fertig absolvieren können oder wenn nicht, wirst möglich in eine Militärschule gehen, dich für Freiwilligenprüfung vorzubereiten?
Das wären 2–3 verlorene Jahre für dich, lieber Gusti, die uns allen schwer auf’s Herz fallen würden – doch ertragen werden müssten, deine weitere Zukunft sicher zu stellen. Ich erwarte täglich Bericht darüber von dir und Onkel Moriz, bisher vergebens, obschon die Zeit der Prüfungen nahe ist. Ich hoffe noch immer, dass du rechtzeitig dich gesammelt und verbessert hast, vielleicht eine Nachprüfung in den schwachen Gegenständen gestattet sein wird? Schreibe mir nur einige Worte darüber, wie sich alles verhält.
Graz Metahof.
Spanne nun deine Willenskraft an, vermeide jede Zerstreuung, unternimm einfache Spaziergange, dein Monatsgeld, das du jetzt nicht nötig hast, bekommst du zu Ferien, wenn solche möglich werden, auf einmal, ich halte mir das Bessere vor Augen!
Gott behüte dich, herzlich küsst dich,
Deine Großmama
Zürich 19.2.1902
Mein lieber Sohn!
Nun habe ich mich einmal dir gegenüber gründlich ausgeschwiegen. Aber dadurch wirst du doch nicht auf ungeschickte Gedanken geraten sein! Mir kommt vor, es gäbe zwischen elterlichem und kindlichem Empfinden eine ganz besondere Wirkung in der Form, welche im Unterschied zu anderen menschlichen Beziehungen, keines am anderen irr werden lässt trotz Trennung, Stillschweigen oder sonstigen Proben, die hin und wieder eine unfreundliche Schicksalsfügung verhängen mag. Und so musstest du wohl herausfühlen, wie ich seit deinem letzten Abschied im Geist stets wieder bei dir war und wie freudig-bewegt ich war über deine Prüfungserfolge. Aber endlich – nach vielen Abhaltungen vom Briefschreiben will ich’s dir auch ausdrücklich sagen, dass du mir vielen Anlass zu Lob und Anerkennung gegeben hast schon seit Beginn vorigen Sommers in Studiensachen, durch deine persönliche Haltung zu jenem beginnenden Wandel in deinen Empfindungen, die für eine wertige und glückliche Lebensführung von größter Wichtigkeit sind. Dein Brief nach der Prüfung hat mir wieder Zuversicht für eine gute Weiter-Entwicklung gegeben u. er hat auch meine ständigen Sorgen darüber vermindert, dass du dereinst den tückischen Versuchungen des Reichtums-Bewusstseins unterliegen würdest, wozu ja in deinem bisherigen jungen Leben gewisse Ansätze leider schon bemerkbar waren. Jene Sorge um den noch ungetreuen Sohn beschäftigte auch sehr deinen seeligen Vater. Er hinterließ brieflich einen ernsten Gegenstand betreffenden Wunsch, der freilich in praxi nicht realisierbar war, es sei denn ich hätte das Mittel gewählt, dich noch im jugendlichsten Alter ganz u. gar auf den Bereich der Familie in der Fremde unterzubringen, was aber weder ich noch am wenigsten dein liebevoller Vater selbst vermocht hätte. Aber jetzt scheint es mir, du würdest aus eigener Kraft den Kampf gegen das Übel falscher, wie materieller Lebenserwartungen siegreich bestehen u. das wäre freilich ungleich besser, als dem Kampf ausgewichen zu sein oder ihn hinausgeschoben zu haben. Du bist daran, den Wert der Arbeit als der reinsten Quelle unserer Befriedigung u. als der Quelle der Selbstachtung richtig zu erkennen u. bahnst du dir damit den Weg zum Glücke im Geiste deines Vaters und aller jener, die ihn dir in Stande zu versetzen von ganzem Herzen bemüht sind. Wie lieb erst nur, doch auch im Gespräch mit Werner u. Margit Anm.: Stiefgeschwister von Gustav II. dich endlich als gutes Beispiel hinstellen zu können – nach einer Epoche langen Schweigens.
Sei innigst gegrüßt u. umarmt
von deinem Papa
P. S. Du weißt doch noch, dass ich meine Briefe nicht herumgezeigt haben möchte.
Alle Transkriptionen Ulrike Reininghaus.