Als der 2. Weltkrieg doch endlich einmal vorbeigegangen war, probierten wir alle, so bald als möglich wieder in ein – sofern das damals möglich war – geregeltes Alltagsleben zurückzukehren. So nahm ich, nachdem ich nicht die Möglichkeit gehabt hatte, eine Matura zu machen, an einem so genannten „Überbrückungskurs für Kriegsteilnehmer“ teil, womit ich doch noch einen Maturaabschluss bekommen konnte. Danach begann ich, an der Hochschule für Welthandel (die heutige Wirtschaftsuniversität) zu studieren, und hatte von Anfang an das eine große Ziel, so bald als möglich mit Hilfe meines Studiums nach Amerika zu kommen. Tatsächlich gelang es mir, im Jahre 1947 nach einer zehntägigen Schiffsreise als erster österreichsicher Austauschstudent auf das Bowdoin College nach Maine zu gelangen, um dort economics and political science zu studieren. Die ersten Vorlesungen an der Universität waren für mich noch recht unverständlich – wir hatten als Kinder zwar eine englische Nanny, aber die hatte uns eben englisch und nicht amerikanisch beigebracht. Auch in der Schule hatten wir ein wenig Englischunterricht gehabt, aber ich war weit entfernt davon, die Sprache zu beherrschen. Fernsehen gab es damals natürlich noch nicht aber es gab ein Kino, und so ging ich regelmäßig ins Kino, was mir die Sprache dann recht schnell verständlich machte. Als ich nach meinem Austauschjahr wieder nach Hause zurückkam, war meine Mutter jedenfalls über mein perfekt amerikanisches Englisch nicht wenig entsetzt.
Von diesem Jahr als junger Student in Amerika konnte ich natürlich unzählige Anekdoten mitnehmen. So erinnere ich mich zum Beispiel an ein sogenanntes College Weekend, an dem wir von Studentinnen eines Colleges ganz in der Nähe von New York besucht wurden. Es ging darum, sich durch ein signing up die Zuweisung einer Studentin zu sichern, um die man sich dann den ganzen Tag über kümmern sollte. Ich, nicht faul, unterschrieb natürlich auch und bekam ein Mädchen mit dem Nachnamen West zugeteilt. Sehr schnell machte nun das Gerücht die Runde, ich müsse mich um Mae West kümmern, ich selbst hatte damals allerdings keine Ahnung, wer diese Dame hätte sein sollen. Es begann mir die ganze Geschichte aber unangenehm genug zu werden, also fragte ich einen Freund, den ich mit einer Flasche Burbon leicht dazu gewinnen konnte, mich doch zu diesem Rendezvous zu begleiten und mir notfalls aus der Patsche zu helfen. Als der große Tag schließlich da war, kam ich also gemeinsam mit meinem Freund zum vereinbarten Treffpunkt, und aus dem Bus stieg ein besonders entzückendes Mädchen, das sich dann auch recht betont vorstellte: „My name is Ruth West!“. Meinen Freund musste ich ohne Begleitung wieder wegschicken und verbrachte eine sehr nette und sehr harmlose Zeit mit der äußerst sympathischen und unterhaltsamen Ruth.
Durch hilfreiche Letters of Introduction konnte ich auch in New York nette und spannende Leute kennen lernen und verbrachte dort sehr lustige Zeiten. Bei diesen New York Ausflügen durfte ich immer bei Wolfi Spiegelfeld und seiner Familie unterkommen, wo ich, obwohl diese Familie dort wirklich unter den allereinfachsten Bedingungen lebte, immer aufs Herzlichste willkommen war. Diese für mich sehr besondere Gastfreundschaft und Freundlichkeit der Amerikaner hat mich damals wie auch heute noch sehr beindruckt. Das erinnert mich an eine andere Begebenheit: Ich war zu einem sehr noblen Empfang in New York eingeladen, und am Ende der Veranstaltung sollte ich von einer Limousine wieder nach Hause, das heißt zur Wohnung der Spiegelfelds, gebracht werden. Mir war das alles andere als angenehm, und als mich der Chauffeur vor ihrer bescheidenen Haustüre absetzte, kramte ich, noblesse oblige, meine letzten Dollars aus der Hosentasche. Der Chauffeur jedoch weigerte sich das Trinkgeld anzunehmen und meinte nur „I think you need this more than I do“. Es ist nicht schwer nachzuvollziehen, dass mir die Amerikaner sehr ans Herz gewachsen sind.
Neben ihrer Gastfreundschaft zählt auch ihre Verlässlichkeit zu einer sehr beeindruckenden Eigenschaft. In meinem Auslandsjahr wurde ich zu einem ausgezeichneten Kenner der amerikanischen manners: So hat man mich mehrmals davor gewarnt, dass das sehr schnell daher gesagte „you must come and see me“ keinerlei Bedeutung hat und auch nicht als Einladung zu verstehen ist. Wird dieser „Einladung“ allerdings auch ein bestimmtes Datum hinzugefügt, so ist sie absolut ernst zu nehmen. Diese Lektion lernte ich, als ich von einem New Yorker Banker mit dieser typischen Floskel für Thanksgiving nach Village, Connecticut, eingeladen wurde. Leider hatte ich zum Zeitpunkt dieser Einladung noch keine Ahnung davon, was Thanksgiving überhaupt, den Amerikanern im Speziellen, bedeutete. Dementsprechend nahm ich diese Einladung also nicht als solche wahr. Ich wurde dann in Folge von einem Freund aus New Hampshire für dasselbe Fest eingeladen, die erste Einladung hatte ich schon längst vergessen und sagte deshalb gerne zu. Als ich kurz vor dem Fest schließlich jedoch von dem Banker angerufen wurde, um mich an die Einladung zu erinnern, war mir die Sache schrecklich unangenehm, und nachdem jedes sich Herausreden zwecklos gewesen wäre, fiel mir nur der Schluss des ersten Aktes der Zauberflöte ein: „Was werde ich sprechen? – Die Wahrheit!“. So musste ich also erklären, dass ich zum Zeitpunkt seiner Einladung keine Ahnung davon hatte, as Thanksgiving überhaupt bedeutete und die ganze Sache wieder vergessen hatte, mittlerweile hätte ich noch dazu schon bei einem Freund zugesagt, dem ich jetzt unmöglich absagen könne. Fazit der ganzen Geschichte war, dass ich von diesem netten Banker zu Weihnachten noch einmal eingeladen wurde! Ich kann die amerikanische Gastfreundschaft nur immer und immer wieder besonders loben.
Nachdem mein Vater zu dieser Zeit österreichischer Delegierter beim IOC, dem Internationalen Olympischen Komitee, war, hatte ich ursprünglich vorgesehen gehabt, rechtzeitig zu den Olympischen Spielen 1948 wieder zu Hause zu sein. Kurz vor meiner geplanten Abreise war ich noch zu einer sogenannten coming-out party einer Freundin, Clara Hazel von Gonthard, genannte „Baby“, nach Saint Louis, Missouri, eingeladen gewesen. Für dieses Fest reiste ich quer durch ganz Amerika, die erste Strecke gemeinsam mit einem Freund im Automobil, den Rest der Strecke mit dem Greyhound. Im Verlauf der Tage in Saint Louis lernte ich recht schnell den Vater von Baby von Gontard, Adalbert von Gontard, kennen, der mir ein sehr lieber väterlicher Freund wurde. Adalbert von Gontard war noch in Deutschland geboren, seine Familie wanderte nach dem 1. Weltkrieg nach Amerika aus, wo er mittlerweile Vizepräsident der damals größten Brauerei, Anheuser Busch, geworden war. Den Bruder Adalberts, Eduard „Edi“ von Gontard, lernte ich beim Polo Spiel, der dort beliebtesten Freizeitbeschäftigung, kennen. Unser erster Dialog ist mir unvergesslich geblieben: „Ach, Sie kommen aus Österreich! Ach, haben Sie Polo schon eenmal jesehn?“ Meine Antwort darauf: „Ja! Aber die hier spielen ja auch ganz nett!“. „Ach, spielt man in Österreich auch Polo?“ Daraufhin ich: „Na, jetzt bei den Sowjets wird das ein bissl schwer sein!“. Damit hatte ich seine volle Sympathie gewonnen, bekräftigt durch einen festen Schulterschlag. Als ich ihm dann auch noch erzählte, dass mein Vater in Brioni oft und gerne Polo gespielt hatte, war er vollkommen begeistert, weil auch er selbst einen starken Bezug zu diesem Ort hatte.
Mein Auslandsjahr war nun beinahe abgelaufen und ich hätte ja eigentlich rechtzeitig zu den Olympics zurückkehren sollen, jedoch passieret es, dass ich mir am letzten Tag meines geplanten Aufenthaltes in St. Louis bei einem Sturz vom Pferd eine Hüfte und beide Arme brach. Das passierte ausgerechnet auf meinem allerletzten Ausritt, beim allerletzten Hindernis, bevor ich das Pferd wieder zurück in den Stall gebracht hätte. Auf dem Weg in den OP rief mir Eduard mit seinem typischen Humor noch zu: „Do you think you´ll make it or shall I call the undertaker right away?“. Ich habe mich natürlich wieder erholt, allerdings musste ich sechs Wochen im Spital bleiben und versäumte so diese Olympischen Spiele.