Als Entlassungsschein musste ich den Amerikanern eine Adresse angeben, an die ich mich begeben würde, und so lieferte ich die Koordinaten des Peter Zeileis, Sohn des sogenannten „Wunderdoktors“, der mit der Schwester meines Großvaters verheiratet gewesen war. So verbrachte ich die ersten Tage in Freiheit in einem netten kleinen Schlösschen im oberösterreichischen Gallspach. Nach ein paar Tagen machte ich mich von dort zu Fuß auf nach Attnang Puchheim, von wo es mit dem Zug weiter nach Bad Ischl ging. An diesen Zug kann ich mich noch sehr gut erinnern, er war voll mit ehemaligen Insassen des KZ Mauthausen, ich saß mehr oder weniger am Dach des Zuges. In Stainach-Irdning angekommen marschierte ich direkt weiter zum Grimming, wo wir ein Jagdhaus besaßen. Ich hatte – wie sich Gott sei Dank herausstellte, richtig – vermutet, das ich dort meine Mutter und meine Schwestern vorfinden würde. Als ich komplett kahlgeschoren in der Haustüre erschien, wurde ich anfangs von meiner Familie nicht wiedererkannt.
Als ich bereits eine Weile am Grimming war und mich wieder gut erholt hatte, erreichte uns eines Tages ein mir unbekannter Mann am Motorrad, der sich als mein Onkel August Mautner Markhof vorstellte. Wie sich herausstellte, war er der Sohn eines Bruders meines Urgroßvaters väterlicherseits, der nach Bayern ausgewandert war. Onkel August war mit dem Vorsatz zu mir gekommen, mich nach Salzburg zu holen, um dort eine Hefefabrik aufzubauen. Hintergrund dieses Planes war der Gedanke, dass für die Weißbrotproduktion, die durch die Amerikaner einen großen Aufschwung erlebte, viel Hefe notwendig werden würde. Mit meinem Vater, der in Wien in der russischen Zone „festsaß“, konnte als Entscheidungsträger nicht gerechnet werden, und so wollte man mich dazu heranziehen. Also brach ich mit dem neuentdeckten Onkel nach Salzburg auf. Dort warteten bereits einige Direktoren der Brauerei, die mich auch zu diesem Projekt überreden wollten. Das Problem war es, abzuwägen, ob sich der Schritt, eine Hefeproduktion in Salzburg zu eröffnen, auch tatsächlich lukrieren würde: Im Falle einer Öffnung der Zonengrenze Richtung Wien wäre es eine Geldverschwendung gewesen. Hätten wir uns gegen das Projekt entschlossen, wäre uns vielleicht eine große Chance verloren gegangen. Ich war damals gerade einmal 18 Jahre alt und mit einer so großen Thematik recht überfordert. Allerdings wurde ich von einem Mitglied des Direktorenrates, Dr. Adolf Lorenz, der mit meinem Vater eng befreundet gewesen war, sehr gut beraten. Nach einigen Verhandlungen mit dem damaligen Ernährungsreferenten der amerikanischen Zone, Dr. Gleißner (dem späteren Landeshauptmann), wurde dann auch tatsächlich eine kleine Hefeerzeugung in einer Brauerei in Kaltenhausen bei Salzburg begonnen. Es stellte sich schon bald heraus, dass eine Verbindung nach Wien unmöglich gewesen wäre – die Entscheidung hatte sich somit als richtig und gut erwiesen.
Der Krieg verschonte auch unser Zuhause nicht. Es wurde Vieles zerstört, aber trotzdem konnten wir weiterhin auf dem Gelände wohnen, wobei selbst dies für einen kurzen Moment in Frage gestellt war: Die Sowjets hatten während der Besatzungszeit aus eigener Entscheidung heraus die Brauerei an die Gemeinde Wien weiter „verschenkt“. Mein Vater reagierte jedoch umgehend und konnte sich mit dem Bürgermeister glücklicherweise sehr schnell darauf einigen, dass die Brauerei auf alle Fälle in Mautner Markhof´schem Besitz zu bleiben habe. Die Brauerei blieb weiterhin in der sowjetischen Zone, die Hefe- und Spirituosenfabrik hingegen wurde recht bald in den Bereich der englischen Zone übernommen, fremde Besitzansprüche wurden keine mehr gestellt.