Adolf Ignaz Mautner und Anton Dreher
Durch diese beiden Brauherren wurde Bier zum Volksnahrungsmittel. Sie waren die Begründer einer hinsichtlich Qualität und Quantität nachhaltigen Bierrevolution, die ab 1840 das sogenannte „goldene Braujahrhundert“ einläutete und die Weinstadt Wien zu einer Bierstadt wandelte. Dazu kam, dass in den 1820er Jahren in England das Pressglas erfunden wurde und nun auch in Mitteleuropa durchsichtige Biergläser die alten Zinn- und Steinkrüge ablösten. So konnten die Menschen erstmals auch sehen, was sie tranken.
Wie schon erwähnt, gehörte Adolf Ignaz zu einer Gruppe von Brauern, die nach 1840 die Brauverfahren völlig erneuerten. In Schwechat hatte Anton Dreher nach einer Studien- beziehungsweise Betriebsspionagereise nach England in den Jahren 1833 und 1834 Versuche mit untergärigem Bier nach britischen Erkenntnissen gestartet und damit große Erfolge gefeiert. Seine Methoden dürfte er nicht bei sich behalten haben, denn nur so kann man sich erklären, dass die gesamte Bierzunft im räumlichen Umfeld zur selben Zeit begonnen hatte, die Wissenschaft anstelle des „Gefühls“ anzuwenden. Bis dahin hatte man sich gegen jeden Fortschritt gewehrt und jede Investition in die naturwissenschaftliche Forschung verwehrt. Bierbrauen war beinahe Mystik, da es die vier Elemente, nämlich Wasser im Brauwasser, Getreide für Erde, Luft bei der Gärung und Feuer im Brauvorgang vereinte. So berichten die Brauexperten Urban und Hlatky, dass bei einem drohenden Gewitter eine unsägliche Angst den Braumeister und das ganze Personale erfasste, das Bier könne unter den Einflüssen dieser bösen Wetter verderben und dass man Brauer sogar zu den Alchemisten zählte, die bisweilen unter „Zauberverdacht“ gerieten. Sowohl Dreher als auch Mautner arbeiteten wie die Engländer mit Eisen- statt Holzgefäßen, widmeten der Hygiene großes Augenmerk und wendeten völlige neue Kühlungs- und Lagermethoden an. Sie nutzten das Thermometer, um eine konstante Temperatur bei den Brauvorgängen, und das Saccharometer, um einen konstanten Bierwürzgehalt zu erreichen. Bis dahin hatte in Brauerkreisen der Spruch gegolten, dass die Würze so lange sieden sollte, bis der Rosenkranz fünfmal abgebetet ist. 1873 schrieb man in der Zeitung der Wiener Weltausstellung auch, dass es uns heute noch ein Lächeln abnöthigt, wenn wir hören, dass damals Fachleute, sowohl Brauer als auch Wirthe, die Anwendung des Eises scheuten. Außerdem war man innerhalb der Brauerzunft der Meinung, dass jede Ausstoßerhöhung eines Brauers auf Kosten der anderen gehen müsse. So war es ihr Ziel, allen ihren Mitgliedern ein gesichertes Einkommen zu sichern. Mautner und Dreher erkannten jedoch sehr bald, dass der Bierkonsum enorm gesteigert werden könnte, wenn den Wienern Bier besser als Wein schmecken würde; darüber hinaus sahen sie das beginnende Bevölkerungswachstum voraus.
Als Adolf Ignaz 1840 nach Wien übersiedelte, waren ihm von Böhmen her Vorgaben der Zunft fremd, dass fehlende Kühlung und die Holzgefäße ein Herd für Infektionen waren und das Bier verdarben, war ihm bereits zuvor bekannt gewesen. Mit Hilfe der Erkenntnisse seines Schwechater Kollegen verfeinerte er in Wien seine unkonventionelle Braumethode, ahmte diese aber nie 1:1 nach, sondern versuchte immer neue, eigene Wege zu beschreiten. Da die Nachfrage nach gutem Bier das Angebot bei weitem übertraf, befand er sich zu Beginn auch keineswegs im Wettstreit mit Anton Dreher, sah diesen nicht als Konkurrenten, sondern vielmehr als großes Vorbild, dessen Produktionsleistung es galt einzuholen.
Fast zeitgleich mit Dreher stellte Adolf Ignaz in St. Marx im Winter 1840/1841 neben dem obergärigen „Märzenbier“ auch ein untergäriges Bier her, dieses aber nach einem anderen Verfahren. Bei seinem „St. Marxer Bier“ handelte es sich um ein sogenanntes „Abzugsbier“, das er von den Gärbottichen in große Lagerfässer pumpen („abziehen“) ließ, wo der Gärprozess beendet wurde. Damit blieb den Wirten das Nachgären in den Kellern erspart, ihnen konnte nun ein Bier geliefert werden, das hefefrei, klar und eiskalt, also unmittelbar consumfähig war. Im ersten Jahr konnte er dieses Bier jedoch nur bis Mai ausliefern, da es ab dann wegen der steigenden Temperaturen nicht mehr genießbar war. Schon in Böhmen hatte er erkannt, dass die bisherige bei den Bräuern allgemein herrschende Meinung, dass jedes Bier durch starke Kälteeinwirkung Schaden leiden müsse, eine vollkommen irrige sei und obgleich sich die Brauer noch immer hüteten, grosse Eismassen in ihre Braukeller einzulagern, machte er dennoch den Versuch, das bisher obergährige Bier in Eiskellern einzulagern. Für die Produktion des untergärigen Bieres musste er jedoch schon bei der Produktion einen Eisapparat erfinden. So konstruierte er ein völlig neues Kühlsystem, das er als „Normal-Bierlagerkeller System Mautner“ patentieren ließ und das dem Bier eine gleichbleibende Lagertemperatur sicherte. Er verringerte den Eisbedarf, konnte ab 1843 den ganzen Sommer hindurch mit dem Natureisvorrat auskommen und die Wirte mit untergärigem Bier beliefern. Das Eis entnahm er dem heute noch Mautner-Wasser genannten alten Donau-Arm im Prater, von dem aus er 1856 eine Nutzwasserleitung in die Brauerei baute. Außerdem sicherte er sich ein Wasserrecht am Wiener Neustädter Kanal, dessen Wasser aus dem Quellgebiet der Leitha und der Schwarza nach Wien kam und deshalb eine recht gute Qualität hatte.
Noch vor Dreher experimentierte Mautner mit einer Vacuum-Eismaschine für die Kälteerzeugung, die sich aber nicht bewährte.
Nicht Dreher, sondern er arbeitete erstmals mit einer Dampfmaschine, ein allerdings nur kleines Modell der Marke „Specker“, die er 1845 bei der Wiener Gewerbeausstellung erwarb und beim Wasserschöpfen, Malzputzen und Schroten verwendete. 1872 setzte er bereits zwölf Dampfkessel zu je 30 PS ein, das waren mehr als Dreher, der aber nur Bier und weder Hefe noch Spiritus erzeugte, in Klein-Schwechat zur Verfügung hatte.
Während Dreher sofort mit dem Bau von Kellern begann, ließ Adolf Ignaz erst 1850 eine größere Anlage bauen, die dem Bürgerspitalfonds 30.000 Gulden kostete und zu dem er einen unbekannten Beitrag leistete.
1886 kaufte Adolf Ignaz seine erste Linde-Maschine für die Würze- und Gärkellerkühlung und 1888 eine zweite für die Lagerkühlung. Auch sonst konnte seine Maschinenausstattung in St. Marx mit Schwechat durchaus mithalten, er passte sie laufend an die rasche Produktionssteigerung an. Sein billiges Abzugsbier (das bis zum Zweiten Weltkrieg ausgeschenkt wurde) hatte in Wien zeitweise einen höheren Marktanteil als das Dreher´sche Lagerbier.
Die St. Marxer Brauerei konnte zwar nie die Produktionswerte der Dreher´schen Brauerei erreichen, war aber schon 1870 die zweitgrößte Brauerei Wiens und bald auch die drittgrößte des europäischen Kontinents. Von 45.000 Hektolitern im Jahr 1850 und 97.000 Hektolitern im Jahr 1860 schnellte der Ausstoß auf 287.000 Hektoliter im Jahr 1870 hinauf. Dreher produzierte in diesem Jahr 397.000 Hektoliter Lagerbier, das allgemein als besser als das Abzugsbier bezeichnet wurde. Aber Adolf Ignaz produziert inzwischen auch andere, durchaus geschätzte Biersorten, wie stark malzhaltige Gesundheitsbiere („Göttertropfen“). Die beiden hatten damit 1870 an der Wiener Bierproduktion Marktanteile von 20 beziehungsweise 15 Prozent, die sie bis zur Jahrhundertwende um jeweils zwei Prozentpunkte erhöhen konnten. Über die Industrie-Ausstellung in London 1862 wird berichtet, dass die Biere von Dreher und Mautner großen Beifall fanden und mit Medaillen ausgezeichnet wurden. Besonders das St. Marxer Salon-Bier war sehr begehrt.
Der Vorsprung, den Dreher in Schwechat in der Biererzeugung erzielte, ist wahrscheinlich auch darauf zurückzuführen, dass sich Adolf Ignaz bereits zunehmend der Hefeerzeugung gewidmet hatte. Dieses zweite Standbein seiner unternehmerischen Tätigkeit war genauso wichtig und es warf zudem noch höhere Gewinne ab. Ist Anton Dreher als „Erfinder“ des neuen Wiener Lagerbiers in der Wirtschaftsgeschichte verankert, so gilt Mautner im selben Maße als „Erfinder“ des Wiener Verfahrens, seiner Presshefe-Fabrikationsmethode. Als Wirtschaftspioniere finden sich so beide auf derselben Stufe wieder.