Pakistanische Hochzeiten / Haider & Natasha, Taimur & Anum
Anfang Januar 1982 hatte ich das Vergnügen, nach Pakistan zu reisen, nach Lahore, zur Hochzeit Mubashrahs, der ältesten Tochter meiner Schwester Elisabeth. Im Jahr 1959 hatte Elisabeth Syed Afzel Naqvi geheiratet. Sowohl sie als auch Afzel studierten damals in London am Queen Mary College. Sie haben sechs Kinder: MUBASHRAH ist mit Agha Qasim Raza verheiratet, SOHAIL mit Iram Mehdi, FARVAH mit Imran Ali Shah, MUNAZZAH mit Tariq Riaz Malik, FEISAL mit Ayeda Husain und IJLAL mit Leylac Pekin. Diesen sechs Ehen entsprangen mehr als fünfzehn Enkelkinder.
Jetzt, Mitte Dezember 2021, vierzig Jahre später, bin ich froh, wieder in Lahore zu sein, um die Hochzeiten zweier Enkel meiner Schwester zu feiern. Mein Schwager Afzel war im August desselben Jahres verstorben. Von seiner Familie verehrt, von allen, die das Glück hatten, ihn zu kennen, geliebt und geachtet, lebt er in der Erinnerung von uns allen unvergesslich weiter.
Als ich 1982 nach der faszinierenden Hochzeit von Qasim und Mubashrah, die sich über acht Tage erstreckte, nach Hause zurückkehrte, schrieb ich meine Eindrücke auf, die ich mit Fotos illustrieren konnte, die mir freundlicherweise aus Lahore zugesandt wurden. Damals war ich noch nicht die begeisterte und unbändige Fotografin, zu der ich durch die beiden Hochzeiten, die ich hier beschreiben werde, geworden bin. Um mein Gedächtnis aufzufrischen, habe ich mir alle meine Notizen noch einmal durchgelesen, bevor ich mich in dieses neue Abenteuer stürzte. Ich erinnerte mich sehr gut daran, dass im Gegensatz zu Hochzeiten im Westen, die in der Regel nur einen Tag dauern – abgesehen von der Verlobungsfeier, die Monate oder Wochen vorher stattfindet –, im Osten (und hier beziehe ich mich vor allem auf den indischen Subkontinent) die mit der Hochzeit verbundenen Feierlichkeiten tagelang andauern. Im Einklang mit der Tradition als alle Ehen arrangiert wurden, veranstaltet jede Familie eine Reihe von Feiern – zunächst getrennt, nur für die eigene Verwandtschaft. Diese gipfeln in der Nikāḥ, der eigentlichen Hochzeit, die im Haus der Eltern der Braut stattfindet. Am Tag danach findet im Haus der Eltern des Bräutigams die Walima statt, um die Vollendung der Ehe zu feiern. Mubashrah und Qasim hatten eine arrangierte Ehe. Früher sahen sich die beiden zum ersten Mal bei der Nikāḥ. Meine Nichte hatte jedoch die Möglichkeit, den jungen Mann, den ihre Eltern als Ehemann ausgewählt hatten, zu treffen und sich mit ihm zu unterhalten. Qasim kam zu diesem entscheidenden Treffen sogar aus dem weit entfernten Seattle an der Westküste der USA, wo er für Boeing arbeitete. Hätte der intelligente junge Ingenieur Mubashrah nicht gefallen, hätte es keine Heirat gegeben. Ihre Eltern hätten weiter nach einem geeigneten Bräutigam gesucht. Das Ergebnis war jedoch eine glückliche Ehe. Qasim und Mubashrah bekamen drei Kinder: zwei Mädchen und Haider (ausgesprochen Hedda wie in Ibsens Hedda Gabler). Haider ist der Bräutigam der Hochzeit, die ich in weiterer Folge als Nummer eins bezeichne.
Soweit ich weiß, waren beide Hochzeiten, an denen ich teilnehmen sollte, Liebesheiraten. Die jungen Paare, die alle sehr kosmopolitisch eingestellt sind, lebten bereits oder werden zukünftig in den Vereinigten Staaten leben. Meiner Schwester zufolge sind jedoch 90 % aller Ehen in Pakistan nach wie vor arrangiert. In vielen Fällen sind es die jungen Männer, die ihre Eltern bitten, für sie eine passende Braut zu finden. Die eigentliche Hochzeit, die Nikāḥ, ist ein rein zivilrechtlicher Vertrag, der von den Vätern der beiden Parteien vor Zeugen unterzeichnet wird, wobei ein Mullah anwesend sein kann, um seinen Segen zu geben und das Lob Allahs zu preisen. Zu Beginn dieses Aktes ist der Vater der Braut gesetzlich dazu verpflichtet, seine Tochter um ihre Zustimmung zu bitten. Die Unterzeichnung des Vertrages findet getrennt statt, auf der einen Seite die Braut mit ihrer Familie, auf der anderen Seite der Bräutigam mit seiner. All dies geschieht in weniger als fünfzehn Minuten.
Vor vierzig Jahren hatte ich die Hochzeit als Mitglied der Familie der Braut besucht. Dieses Mal erlebte ich sie als Mitglied der Familie des Bräutigams. Es gab Unterschiede, aber vor allem ist es damals wie heute ein andauerndes großes Fest für die Frauen und Freunde beider Familien. Es ist das Fest der Frauen schlechthin, das Fest, bei dem sie sich von ihrer besten Seite zeigen. Jeden Abend erscheinen sie in wechselnden schillernden und bunten Outfits. Tanzen und Singen, begleitet vom Klang der Trommeln und Tamburine, waren schon immer ein wichtiger Bestandteil der meisten Festlichkeiten. Heutzutage ist alles viel entspannter, und bei den großen Festen sind Trommel und Tamburin durch Live-Bands und DJs ersetzt worden.
Aber genug der Formalitäten. Ich werde nun die Ereignisse schildern und gleich zu Beginn mit meiner Reise nach Lahore beginnen.
Samstag, 18. Dezember 2021
Um 4 Uhr morgens wurde ich unsanft von meinem Wecker geweckt und verließ Madrid um 8 Uhr morgens an Bord eines Flugzeugs von Qatar Airways in Richtung Doha. Der Flug war angenehm, er dauerte etwa sechs Stunden. Die meiste Zeit verbrachte ich vor mich hindösend. Irgendwann nahm ich einen Snack zu mir und später ein Glas großzügig eingeschenkten Laurent Perrier rosé, der mir das Leben noch rosiger erscheinen ließ. Die Zwischenlandung in Doha dauerte etwa drei Stunden. Die Inneneinrichtung des Flughafens bestand hauptsächlich aus Stahl. Alle Angestellten und Passagiere schienen Ausländer zu sein. Es war schwierig, einen Katarer oder einen Einheimischen aus einem der Nachbarländer des Persischen Golfs anzutreffen. Im riesigen Duty Free entdeckte ich schließlich zwei Männer in den klassischen fließenden weißen Gewändern, die Köpfe mit einem karierten Tuch bedeckt, das von einem schwarzen Band zusammengehalten wurde. Da sie nichts kaufen wollten, machten sich die beiden auf den Weg zum Warteraum von Al Safwa.
Ich, die ebenfalls einen Passierschein für die Business Class-Lounge hatte, beschloss ihnen zu folgen, um sie genauer zu beobachten. Aus reiner Neugierde. Sie verschwanden schnell in den Innenraum. Neben dem Eingang befand sich ein Schalter, an dem ich nach meiner Bordkarte gefragt wurde. Ich wurde in eine andere Lounge namens Al Moujon verwiesen, ein riesiger, komplexer, architektonisch moderner Raum mit einem Restaurant und riesigen Pool. Offensichtlich war dies die Lounge für die Passagiere, die nicht aus dem Land oder der Region stammten. Al Safwa war wohl nur für diese Reisenden bestimmt. Oder es handelte sich einfach um einen reinen Männerbereich. Zu meiner Enttäuschung sah ich keine weitere Person in einheimischer Kleidung.
In Doha traf sich dann das gesamte Kontingent der pakistanischen Großnichten/Neffen, die alle aus den Vereinigten Staaten kamen, hauptsächlich aus New York, einschließlich Haider, dem Bräutigam Nummer eins. Wir trafen uns, als es gerade an der Zeit war zum Flugsteig zu gehen, um den Flieger nach Lahore zu besteigen. Es waren sehr viele Menschen an Bord dieses Fluges! Das Flugzeug war gigantisch und bestand aus drei Sektionen mit je drei Sitzen.
Sonntag, 19. Dezember 2021
Der Flug dauerte etwa drei Stunden und wir kamen kurz nach 1 Uhr nachts Ortszeit an, vier Stunden vor Spanien. Was für ein Gedränge und Treiben! So viele Menschen auf dem Flughafen! Es war fast wie in einem Ameisennest. Bei jedem Passagier schien die ganze Familie anwesend, um ihn zu Hause willkommen zu heißen. Es war wie Barajas, unser Flughafen in Madrid, zu Spitzenzeiten – aber mit dem dreifachen Aufkommen. Und das auch noch mitten in der Nacht. Bei der Passkontrolle musste ich wegen der Länge meiner Nachnamen (Vater und Mutter, wie es in Spanien üblich ist) ewig warten, da sie nicht in das für Nachnamen vorgesehene Feld des Computers passten. Das Personal war aber gezwungen sie vollständig einzugeben und an die Datenbank weiterzuleiten. Ich war von Neffen und Nichten umgeben und hinter uns bildete sich eine lange Schlange. Am Ende ließ man uns passieren. Freunde der Neffen, die am Flughafen arbeiten, kümmerten sich darum unser Gepäck ohne Kontrolle durch den Zoll zu bringen. Als wir das Haus meiner Schwester erreichen schlief sie bereits – wie nicht anders zu erwarten – tief und fest. Auch ich ging sofort zu Bett und schlief bis in den Morgen hinein wie ein Stein.
Mit meiner Schwester und ihren Kindern und Enkelkindern, die aus dem Ausland kamen und jetzt in ihrem großen Haus mit sechs schönen Zimmern wohnen, war es ein glückliches und emotionales Wiedersehen. Mein Zimmer war großartig und hatte ein eigenes Bad. Auch hatte es einen großen Schreibtisch, und ich glaube Afzel hatte es als Arbeitszimmer benutzt. Das riesige Fenster nahm eine ganze Wand ein und bot Ausblick auf einen großen Innenhof, der ganz aus Ziegeln gemauert und mit üppigen grünen Pflanzen begrünt war. Am Nachmittag waren fast alle Mitglieder der Familie meiner Schwester im Haus versammelt: diejenigen, die in Lahore leben, und diejenigen, die aus dem Ausland gekommen waren. Die Familien Raza, Mubashrah und Qasim, die Eltern von Haider, und seiner beiden Schwestern, von denen eine mit ihrem Mann und ihren drei kleinen Kindern aus Dallas gekommen war, nicht mitgezählt. Einige, die aus dem Ausland anreisten, waren noch gar nicht eingetroffen, dennoch waren wir schon sehr viele. Sohail Shaji, der älteste Sohn meiner Schwester, war mit seiner Frau Iram aus Kirgisistan gekommen, wo er Kanzler einer vom Aga Khan gegründeten Universität ist. Der Aga Khan selbst hatte ihn für diese Aufgabe ausgewählt. Shazil, das älteste der drei Kinder von Shaji und seine Frau, die vor kurzem geheiratet haben und in New York leben, waren mit demselben Flugzeug von Doha nach Lahore gereist wie ich. Der jüngste Sohn war leider wegen Covid in New York geblieben. Die Tochter, Aleena, wunderschön, wie ohne Ausnahme alle Töchter und Enkelinnen, ist voller Temperament. Ein echter Charakter. Dann war da noch Farvah, die zweite Tochter meiner Schwester, zusammen mit ihrem Mann Imran und drei ihrer Kinder. Es fehlte noch einer der Söhne, der gerade begonnen hatte, in Burundi für eine NRO zu arbeiten. Er hatte etwa 40 Stunden auf einem Flughafen in Nairobi gewartet, weil es Komplikationen mit seinem PCR-Test gegeben hatte. Faisal, der zweite Sohn und ein renommierter Anwalt in Lahore, geschieden und wiederverheiratet, hat insgesamt vier Kinder. Die beiden älteren waren noch auf dem Weg aus Kanada, aus Montreal und Toronto. Seine neue Frau ist eine Schauspielerin und TV-Persönlichkeit. Das ist alles sehr beeindruckend, denn sie betreibt obendrein eine sehr erfolgreiche Kosmetiklinie. Die dritte Tochter, Munazzah, die ihrer Mutter am ähnlichsten sieht, lebt zwischen Lahore und Karatschi. Nachdem sie viele Jahre in den Vereinigten Staaten verbracht hatte und für US-Banken tätig war, arbeitet sie jetzt für eine pakistanische Bank. Ihre beiden reizenden Töchter waren ebenfalls mit mir auf dem Flug von Doha. Ijlal, der jüngste Sohn meiner Schwester, war noch auf dem Weg von Singapur, wo er Professor ist. Titu – oder T2 – ist der Adoptivsohn der Familie, der Sohn einer von Afzels Schwester, die bei einem Unfall starb, als er noch ein Kind war. Er hat eine beeindruckende Karriere Lahores Medienbranche aufgebaut. Er leitet seinen eigenen sehr beliebten und einflussreichen TV-Sender sowie Zeitungen usw. Er ist mit einer reizenden und schönen jungen Frau, Varda, verheiratet und hat vier Kinder. Varda hat Medizin studiert und ist Radiologin. Das Haus meiner Schwester mit seinen sechs Schlafzimmern war zum Bersten voll. Die Familienmitglieder, für die kein Platz mehr war, wurden bei Verwandten und Freunden untergebracht.
An diesem ersten Tag meines Besuchs war das Wetter eher kühl, aber strahlend sonnig. Shaji nahm mich mit auf einen Spaziergang durch den großen und schön angelegten Garten. Er hat eine große Rasenfläche mit einem Mangobaum in der Mitte. Entlang der Begrenzungsmauern gibt es jede Menge Sträucher und Blumen. In einer der Ecken befindet sich es ein großes Beet, das der spektakulären Amaryllis gewidmet ist, aber es war nicht ihre Zeit zu blühen. Es gab einige kleine Zitronenbäume, eher Sträucher als Bäume, mit winzigen, sehr dekorativen Zitronen. Ich habe ein paar davon mit nach Madrid genommen, um zu sehen, ob sie auch in Mezalde gedeihen, was eine angenehme Überraschung wäre. Nach 20.00 Uhr gingen wir zum Haus von Haiders Eltern, wo die ganze Familie und alle Freunde versammelt waren – Alt und Jung. Alle trugen westliche Kleidung, alle jungen Leute in Jeans. Die Älteren waren elegant gekleidet und die Frauen mit Schmuck behangen. Von Natasha (die trotz ihres russischen Namens rein pakistanisch ist) wurde nicht erwartet, dass sie an diesem Abend in Erscheinung tritt. Später erfuhr ich, dass unsere Gastgeber nicht mit einem so großen Andrang an diesem Abend gerechnet hatten. Als sie sahen, dass wir in Massen kamen, bestellten sie bei einem Caterer zusätzlich Essen. Innerhalb einer Stunde war dieser dann vor Ort und zauberte ein herrliches Buffet auf den Tisch. Es erschien mir sprichwörtlich wie Zauberei, denn alles, was man im Westen so hätte so kurzfristig bekommen können, wären ein paar Pizzen gewesen.
Welch´ Freude und was für ein Lachen! Die Frauen tanzten zu den Klängen des Plattenspielers. Moderne Musik. Plötzlich wurde der Donauwalzer aufgelegt, bei dem auch ich aufstand und mich ein paar Mal im Kreise drehte, natürlich mit Linksdrehung, wie es sich für eine ehemalige Wiener Debütantin gehört. Die drei Urenkel meiner Schwester, die aus Dallas angereist waren, hüpften aufgeregt von hier nach dort und überall herum. Das jüngste, ein kleines Mädchen, war gerade einmal 2 Jahre alt. Kinder nehmen, wie ich sehen sollte, an allen Festlichkeiten teil. Unser Gastgeber, Qasim, hatte auf der Terrasse zwei große Feuer angezündet, was uns sehr willkommen war, denn die Nacht war kalt und feucht.
Montag, 20. Dezember 2021
Es war wieder ein sonniger Tag und wir saßen draußen in dem schönen Garten, der von einem eigenen Gärtner gepflegt wird. Hier, im Punjab (persisch: fünf Flüsse), im Tal des Ravi, eines Nebenflusses des Indus, wächst alles in Hülle und Fülle. Der Boden gilt als einer der fruchtbarsten der Welt.
Nachdem wir es alle sehr genossen hatten in der Sonne zu sitzen, wurde das Mittagessen im Haus serviert. Wir waren etwa vierzehn Personen, die um den Tisch im Esszimmer saßen. Die jüngeren Leute aßen alle in einem der beiden Wohnzimmer, viele von ihnen auf dem Boden sitzend, wie es in Pakistan üblich ist. An diesem Abend gab es wieder eine große Party. Sie fand wieder im Haus von Haiders Eltern statt und wurde von seinen Onkeln Shaji und Faisal großzügig ausgerichtet. Von heute an trugen die Frauen jeden Tag andere, prächtige Kleider. Der Innenhof des Hauses war mit Blumen und Lichtern wunderschön geschmückt. Eine Band spielte auf Hochtouren, und sofort tanzten alle fröhlich. Jung, alt und auch die Kinder. Das kleine Mädchen von zwei Jahren trug wunderschöne Kleider – eine Miniaturausgabe dessen, was ältere Mädchen und Frauen tragen würden, nur ohne das Tuch. Und zu jeder Party gehört ein prächtiges Buffet (die Superlative häufen sich in dieser Geschichte, aber es ist einfach die schlichte Tatsache).
Dem Essen wird nicht viel Zeit gewidmet, etwas, das mir schon bei meinem ersten Besuch in Pakistan aufgefallen war. Einige Leute essen im Sitzen, aber die meisten bleiben stehen, was erklärt, warum die Mahlzeiten immer so zubereitet werden, dass kein Besteck benötigt wird. Die größte Attraktion des Festes ist immer das Tanzen.
Dienstag, 21. Dezember 2021
Am Morgen brachte Farvah Ijlal und mich in das Dorf, in dem die Familie Naqvi einen Bauernhof besitzt. Dort werden Reis und Weizen angebaut. Afzel hatte mit der Anpflanzung von Teakbäumen experimentiert. Auf dem Hof wurde von der Familie ein kleiner privater Friedhof angelegt, auf dem Afzel begraben ist. Der kleine Friedhof ist relativ neu, denn die Familie Naqvi hatte 1947, im Zuge der Teilung des Landes, ihren gesamten Besitz in Patiala, einem Teil des heutigen Punjab in Indien, verloren. Als Entschädigung wurde ihnen ein Stück Land im pakistanischen Teil des Punjabs zugesprochen, wo sich dieses Dorf befindet. Der Friedhof besteht aus etwa fünf oder sechs schlichten Gräbern aus Zement. Das Grab von Afzel war nur noch ein Erdhügel. Es war sein Wunsch, unter dem Baum am Fuße des Grabes seines Vaters begraben zu werden. Die Enkelkinder, die mich im Flugzeug begleitet hatten, waren alle bereits am Vortag auf dem Friedhof gewesen. Nur Ijlal, der jüngste Sohn meiner Schwester, der gestern Abend aus Singapur eingetroffen war, hatte ihn noch nicht besucht. Wegen der strengen Covid-Beschränkungen im August hatte er nicht an der Beerdigung seines Vaters teilnehmen können. Afzel hatte in dem Dorf eine Mädchenschule gegründet und großzügig zum Unterhalt von zwei weiteren lokalen Schulen beigetragen. Ein Projekt, das nun von seinen Kindern weitergeführt wird. Bevor ich das Dorf wollte ich noch die Mädchenschule besichtigen. Farvah begleitete mich freundlicherweise. Es war ein günstiger Zeitpunkt für den Besuch, denn alle Mädchen hatten gerade unterrichtsfrei und waren draußen, um sich zu erholen. Die Schule wird von etwa 475 Mädchen besucht. Ich dachte, das sei eine beeindruckende Zahl für ein einfaches Dorf, doch ein pakistanisches Dorf ist nicht mit Dörfern in Europa zu vergleichen, die nur aus einem Kern von ein paar Häusern bestehen. Und wenn wir an Spanien denken, so gibt es heute in vielen kleinen Dörfern oft nur noch wenige Einwohner. Hier hingegen wirkte das Dorf eher wie eine sich ausbreitende Stadt, in der Tausende von Menschen leben. Das Schulgebäude hat einen quadratischen Grundriss. Es hat nur ein Stockwerk und die Klassenzimmer liegen zum zentralen Hof hin. Im Freien gibt es einen großen Spielplatz für die Kinder. Als wir ihn besichtigten, wurden wir sofort von einer Gruppe kleiner Mädchen angesprochen, die uns Besucher neugierig beäugten. Ihre liebenswerten kleinen Gesichter hatten riesige schwarze Augen und waren von einem breiten Lächeln umspielt. Wir machten einen kurzen Rundgang durch die Klassenzimmer, wobei mir auffiel, dass fast alle einen moralisierenden oder mahnenden Spruch auf ein Stück Papier geschrieben und über die Tür oder an eine unübersehbare Stelle geklebt hatten. Viele waren auf Englisch, wie zum Beispiel “Silence is Golden”. Ich war von der Arbeit, die in dieser Dorfschule geleistet wird, sehr beeindruckt und noch mehr, als ich an die traurige Situation der Frauen im benachbarten Afghanistan dachte.
Nach diesem Besuch verließen wir das Dorf. Es ist eine willkürliche Ansammlung von kleinen Gebäuden aus Lehm und Ziegeln. Die Straße war sehr holprig. Büffel saßen wiederkäuend am Straßenrand auf kleinen Parzellen. Winzige Esel zogen Karren mit riesigen Lasten. Und, wie man es in Lahore oft sieht, fuhren ganze Familien, drei oder mehr, auf kleinen Motorrädern. Und noch etwas ist erwähnenswert: Nicht weit vom Spielplatz der Mädchenschule steht ein riesiges weißes Haus, das alle anderen Gebäude überragt. Es gehört einem Einheimischen, der in seine Heimat zurückgekehrt ist und dafür einen großen Teil seiner Ersparnisse, die er in Saudi Arabien oder einem anderen ölreichen Land am Golf machte, aufgebraucht hat. Es ist der Traum vieler Pakistani bescheidener Herkunft, ein pompöses Haus zu bauen, sei es in der Stadt oder in dem abgelegenen Dorf, aus dem sie stammen.
An diesem Abend fand wieder im Haus von Haiders Eltern die Zeremonie des „Milad“ statt. Sie wird nur von Frauen besucht. Eine Sängerin saß, an der Seite ihrer Mutter, auf dem Sofa im Wohnzimmer und sang Lieder zu Ehren des Propheten. Die Frauen und Mädchen umringten sie auf dem Boden sitzend, für die älteren Frauen gab es Stühle. Als wir ankamen war die Veranstaltung bereits in vollem Gange und dauerte noch etwa eine Dreiviertelstunde lang. Die Sängerin hatte eine tiefe kräftige Stimme. Ein Teil des Gesangs schien mir Ähnlichkeit mit dem Cante jondo zu haben (ein für Andalusien typischer Gesang, in dem tiefe Gefühle zum Ausdruck gebracht werden). Nach diesem feierlichen und rituellen Teil des Abends wurde die Party mit einem Buffet fortgesetzt, zu dem ständig Verwandte und Freunde kamen, um Hallo zu sagen. Natasha hatte an diesem Abend einen kurzen Auftritt. Sie war ganz in Gleb gekleidet, die Farbe, die die Braut traditionell bei den Feierlichkeiten vor der Eheschließung trägt.
Mittwoch, 22. Dezember 2021
An diesem Tag haben wir alle die Altstadt von Lahore besucht. Alles war sehr gut organisiert. Wir wurden in einem Bus mit Reiseleiter gefahren. Er gab uns Kopfhörer, und wir bewegten uns als große Familiengruppe. Zuerst besuchten wir das Shahi Hammam – die königlichen Bäder. Das Hauptbad war mit Blumen und Vögeln geschmückt. In die Kuppel waren sogar Engel gemalt, so dass die Badenden beim Blick nach oben das Gefühl hatten, im Paradies zu sein. Zurzeit, als die Kaiser hierherkamen um zu baden, waren die Bäder auf dem Höhepunkt ihrer Pracht. Nach und nach verfielen sie und wurden nicht mehr genutzt. Zu einem anderen Zeitpunkt dienten sie als Schule. Schließlich und glücklicherweise kam ein norwegisches Unternehmen zu ihrer Rettung und restaurierte dieses außergewöhnliche Gebäude auf großartige Weise. Anschließend machten wir einen Spaziergang durch die Straßen, von denen einige so eng waren, dass man sie nur im Gänsemarsch passieren konnte. Wir hielten an einem der Stände, die auf dem Markt Reis verkauften. Es gab große Zylinder, die viele verschiedene Arten von Basmati-Reis enthielten. Der beste Basmati-Reis der Welt kommt aus dem Punjab. An derselben Stelle, wo die Straße etwas breiter wird, hatte ein Mann einen großen, luftigen Vogelkäfig in Form eines umgedrehten Kegels angebracht. Er war nicht aus Draht, sondern aus Maschendraht gefertigt. Darin befanden sich etwa 20 Spatzen. Ich dachte, gebraten wären sie ein kleiner Snack. Aber nein, ein Irrtum: Die Leute kaufen die Vögel, um ihnen die Freiheit zu schenken. Was für eine schöne Idee und liebevolle Geste! Ich bin mir nicht sicher, ob es Glück bringen soll oder es sich nur um einen symbolischen Akt handelt.
Als wir unseren Weg fortsetzten, kamen wir an eine Straße mit bunten Rikschas, die den Isocarros ähneln, die man früher in Spanien nur für den Transport von Gütern benutzte und die seit kurzem wieder für den Transport von Touristen benutzt werden. Vor allem in Madrid ist es eine bequeme Art, den Buen-Retiro-Park zu erkunden. Wir hielten an und stiegen aus den Rikschas aus, um die wunderschöne Wazir-Khan-Moschee, die nicht prunkvoller sein könnte, zu bewundern. Sie ist mit Mosaiken bedeckt, die auf Ziegeln verlegt sind. Im Hauptinnenhof gibt es ein Becken für die Waschungen. Wir fuhren mit Rikschas zurück und sahen einige der zwölf Stadttore der Altstadt. Dann erreichten wir das berühmte Fort – Shahi Qila -, das gegenüber der Badshahi-Moschee liegt, die lange Zeit die größte Moschee der Welt war. Die Moschee und ihr Innenhof bestehen aus rotem Sandstein, der von weit her herbeigeschafft werden musste, da Lahore in einer Schwemmlandebene liegt. Die Moschee ist mit weißem Marmor verziert. Sie stammt aus dem 17. Jahrhundert. Das aus dem 16. Jahrhundert stammende Fort wurde größtenteils im 17. Jahrhundert umgebaut, als das Mogulreich am mächtigsten war. Die Konstruktion des Tors ermöglichte es dem Kaiser, es auf einem Elefanten sitzend zu passieren. Der Bus wartete dann neben einem historischen Gebäude, das heute ein Restaurant ist und dessen dreistöckige Fassade aus leuchtend blau gestrichenem Holzfachwerk besteht. Ganz in der Nähe befand sich ein Stand zum Braten von Hühnern. Er fiel mir ins Auge, weil die Hühner nicht waagerecht, sondern senkrecht auf den Spieß gesteckt waren. Wenn ich jetzt die Übersetzung meines Berichts ins Englische lese, für die ich Minah zu Dank verpflichtet bin, wundere ich mich erneut über diesen Unterschied, so trivial er auch ist. Die Beschreibung der faszinierenden Altstadt und der wichtigsten historischen Denkmäler von Lahore ist deshalb sehr reduziert, weil ich bereits vor 40 Jahren einen ausführlichen Bericht über die Details geschrieben hatte. Dank Shaji konnte ich damals auch die legendären Shalamar-Gärten besuchen. Auf der Rückfahrt zum Haus meiner Schwester gerieten wir in einen gewaltigen Stau. Myriaden von Motorradfahrern schlängelten sich gekonnt zwischen den Autos hindurch, meist mit mehr als einem Beifahrer; Schutzhelme waren selten. Es war gut, nach einem Tag voller faszinierender Sehenswürdigkeiten und Eindrücke wieder zu Hause zu sein. Dieser Abend stellte eine Ausnahme dar, denn es war keine Veranstaltung oder Feier geplant: So haben wir uns alle gut ausgeruht.
Donnerstag, 23. Dezember 2021
Wie bereits erwähnt, halten die Familien von Braut und Bräutigam vor der Hochzeit ihre Feiern traditionell getrennt ab – speziell für ihre eigene Familie, ihre Verwandten und Freunde. Aber die Zeiten haben sich geändert, und so luden Natashas Eltern auch Haiders Familie zu der Feier ein, die sie an diesem Abend in ihrem Haus gaben. Farvah ging in Vertretung der Familie Naqvi hin und da ich gerne an allen Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Hochzeit teilnehmen wollte, begleitete ich sie. Das Haus von Natashas Eltern – Danish und Ayesha Monnoo – ist im großen Stil sehr modern und hat einen sehr großen zentralen Innenhof. Es wurde hauptsächlich von Ayesha entworfen. Neben dem Haus befindet sich ein weitläufiger Garten mit schönen Palmen, der von einer breiten, gepflasterten Straße flankiert wird, die so angelegt ist, dass sie die Einfahrt und das Parken vieler Autos erleichtert. Wir wurden herzlich willkommen geheißen. Ayesha ist ausnehmend charmant. Natashas Kleidung war an diesem Abend sehr elegant, sie trug eine schwarze Matrosenhose und ein gelbes Oberteil. Meine Nichte Farvah, die seit langem in den USA lebt, kannte weder Familienmitglieder noch Gäste, doch in der fröhlichen Atmosphäre mischten wir uns bald unter die anderen Gäste. Wieder gab es ein exquisites Buffet, was nun schon tägliche Gewohnheit war. Ich muss an dieser Stelle hinzufügen, dass Essensreste dieser üppigen Buffets immer an Bedienstete und Arme verteilt werden. Wir waren nur für kurze Zeit auf der Party, es war ja nur ein Höflichkeitsbesuch als Antwort auf die freundliche Einladung. Ich möchte den Bericht über den heutigen Tag nicht so kurzhalten und denke, es ist angebracht, ein paar Worte über die Familie Monnoo hinzuzufügen. Ich hatte das unerwartete Vergnügen, Natasha Mitte November kennenzulernen, als sie mit ihren Eltern auf einer Reise nach Zürich, Madrid und London war. Später erfuhr ich, dass sie ihre Eltern auf einer Geschäftsreise begleitet hatte. Monnoo ist und war ein sehr bekannter Familienname in Pakistan, vor allem in der Textilbranche. In Pakistan ist Monnoo das, wofür in Frankreich im 20. Jahrhundert Boussac stand: Textilien und prächtige Rennpferde. Ich weiß nicht, ob das auch bei Danish Monnoo der Fall ist. Nachdem Ali Bhutto in den 1970er Jahren in Pakistan an die Macht gekommen war, begann er mit der drastischen Verstaatlichung von Unternehmen, wovon auch die Familie Monnoo stark betroffen war. Wie Natasha mir einmal bei einem Besuch erzählte, hatte man der Familie 24 Stunden Zeit gelassen, um mit nichts weiter als dem Hemd am Leib zu verschwinden. Zuerst verbrachten sie einige Jahre in Irland, dann in England, und als die Herrschaft von Ali Bhutto endete, kehrten sie nach Pakistan zurück. Danish Monnoo ist, ganz im Sinne der Familientradition, ein großer Geschäftsmann. Soweit mir bekannt ist, hat er seine Geschäftsfelder auch auf die Landwirtschaft ausgedehnt – insbesondere auf Mangos, eine Frucht, die im Westen immer beliebter wird.
Freitag, 24. Dezember 2021
Ein weiterer Großneffe reiste an diesem Tag aus New York an. Ich glaubte mich zu erinnern, dass es Taimur war – der bärtige Bräutigam der zweiten Hochzeit und ältester Sohn von Farvah und Imran. In Wirklichkeit war es jedoch ihr jüngster, Tipu. Dank an Minah für die Richtigstellung. Bei der enormen Anzahl an Großnichten und -neffen passieren solche Verwirrnisse schon mal. Bereits tagelang herrschte reges Treiben im Garten meiner Schwester. Auf dem Rasen wurde ein riesiges Zelt aufgebaut, das sogar den Mangobaum bedeckte. Es war für die Feier am ersten Weihnachtsfeiertag gedacht, an dem die beiden Schwestern Farvah und Munazzah ein großes Fest für ihren Neffen geben wollten. Ich habe einen Großteil des Tages damit verbracht Weihnachtswünsche via E-Mails und WhatsApp auszutauschen. Die ganze Familie, einschließlich Natasha und Anum, Taimurs Verlobte, versammelte sich an diesem Abend im Haus meiner Schwester, um zu feiern. Im Wohnzimmer wurde ein großer künstlicher Weihnachtsbaum aufgestellt, den jemand einmal aus den USA mitgebracht hatte. Der Baum war mit Lichtern und Lametta dicht behangen, die keinen noch so kleinen Raum für eine zusätzliche Verzierung ließen. Die sieben anwesenden Kinder befanden sich in einem beispiellosen Zustand der Aufregung und Vorfreude. Und das aus gutem Grund, denn der Raum hatte sich in ein Meer von Geschenken verwandelt. Geschenke, Geschenke, Geschenke! Für jeden ein Berg an Geschenken. Jeder wurde mit Geschenken überhäuft, auch ich, die „Khala“ (Tante in Urdu). Meistens packte ich wunderschöne Schals aus, eines der wichtigsten Kleidungsstücke der pakistanischen Frauen. Die Großzügigkeit des pakistanischen Volkes ist grundsätzlich beeindruckend, wie ich in den folgenden Tagen noch schätzen lernen sollte. Dieser besondere Weihnachtsabend, den ich weitab der Heimat in einer einzigartigen islamischen Umgebung feierte, machte mir nachdrücklich bewusst, dass Gott allgegenwärtig ist und sich in dem Wunder einer so geeinten und beispielhaften Familie manifestiert. Die große Liebe und Zuneigung, die unter den zahlreichen Mitgliedern und Nachkommen der Familie Naqvi herrschte, brachte mir die Worte des himmlischen Chors in Bethlehem in Erinnerung: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen, die guten Willens sind. Und ich stand da, erfüllt von dem Wunder des Augenblicks und mit dem Jesuskind im Herzen.
Samstag, 25. Dezember 2021 – Weihnachtstag
An diesem Tag erreichten die fieberhaften Vorbereitungen für die Party im Garten ihren Höhepunkt. Das Zelt war für das Tanzen mit einem leicht erhöhten Boden ausgestattet worden. Der verbleibende Raum, der nicht von der Tanzfläche eingenommen wurde, war vom Rasen abgetrennt und mit Teppich ausgelegt. Zahlreiche Stühle und sogar einige Sofas und Sessel wurden dort aufgestellt. Die Band erhielt einen erstklassigen Platz zugewiesen. Das Buffet sollte draußen neben dem Zelt aufgebaut werden. Um den Zugang zu erleichtern, wurde die gesamte, dem Buffet zugewandte Seite des Zelts unbedeckt gelassen. Die Vorbereitungen liefen den ganzen Tag über ununterbrochen. Das Zelt sah prächtig aus und war mit roten Rosen und Ringelblumen üppig geschmückt. Rot und Gold – weit weg von zuhause feierte ich in den Farben der spanischen Flagge! Gegen 19 Uhr trafen die ersten Gäste ein. Es war Samstag, und an diesem speziellen Samstag im Dezember fanden unzählige Hochzeiten oder Vorfeiern für Hochzeiten statt. Hochzeiten werden fast ausschließlich im Winter gefeiert, von Mitte Dezember bis etwa Anfang März. Denn danach wird die Hitze unerträglich. Bei den vielen Partys, die an diesem Abend stattfanden, kamen einige der geladenen Gäste nur kurz vorbei um die Gastgeber zu begrüßen und um dann gleich wieder weitere Veranstaltungen im selben Modus zu besuchen. Der Garten wirkte an diesem Abend, auch dank der besonderen Beleuchtungseffekte, irgendwie magisch. Bald war die Party in vollem Gange. Zu Beginn setzten sich die jungen Mädchen in die Mitte der Tanzfläche und sangen zur Begleitung einer Trommel Lieder. Die älteren Leute blieben stehen oder nahmen auf den Stühlen, Sesseln und Sofas Platz. Alle waren in lebhafte Gespräche vertieft. Was das köstliche Buffet anbelangt, so faszinierte mich vor allem der Tandoori, in dem in rasender Geschwindigkeit Fladenbrote, genannt „Naan“ zubereitet wurden. Dieser Ofen hat die Form eines überdimensionalen Kruges und ist mit einer Metallschale bedeckt. Er wird mit Glut am Boden beheizt – oder, was heutzutage wahrscheinlicher ist, mit Gas oder Strom. Die Hitze ist extrem und im Handumdrehen sind die Brote fertig. Die Zubereitung von Naan ist eine Kunst. Diejenigen, die sie beherrschen, können Naan nur mit bloßen Händen einlegen und herausnehmen! In der Regel wird dazu die Hilfe eines Stocks benötigt. Die Köche und das Personal freuten sich über mein Interesse und ich habe davon ein paar Fotos geschossen, die jedoch die außergewöhnliche Kunstfertigkeit nicht wiedergeben können. Natürlich hätte ich besser ein Video machen sollen, aber das ist purer „esprit d’escalier„.
Wie kann ich die Kleidung beschreiben? Jeden Abend übertrafen sich die Frauen aufs Neue und erschienen in verschiedenartigen prächtigen Outfits. Ich weiß nicht, ob es sich um die neueste Mode handelte, aber mir fielen die Hosen auf, die unten so weit waren, dass sie wie Röcke aussahen. Ich fragte Mubashrah danach, und sie sagte mir, dass ihr Kleidungsstück des Abends aus zehn Meter chinesischem Satin angefertigt worden war!
Sonntag, 26. Dezember 2021
Ich ging gegen 1 Uhr nachts ins Bett und schlief bis etwa 11 Uhr morgens – das, was Jose Manuel als „grasse matinée“ bezeichnete. Ich tat praktisch nichts, als mich auf die Hochzeit – die Nikkah – am Abend im Haus der Braut vorzubereiten. An diesem Abend trugen die Männer der Familie die für das Land typische Kleidung: weiße, locker sitzende Hosen, die von einer Tunika, genannt Kurta, bedeckt waren. Dieses Kleidungsstück wurde speziell für jeden einzelnen in verschiedenen Farben angefertigt. Darüber wurde entweder eine Weste oder Jacke getragen. In der Familie meiner Schwester ist der typisch österreichische Stil sehr beliebt.
Bevor ich Spanien verlassen hatte, hatte ich mit meinen Freunden viel über die bevorstehenden Hochzeiten gesprochen und darüber, ob ich überhaupt in der Lage sein würde wegen der Pandemie dorthin reisen zu können. Um ehrlich zu sein hatte ich wegen der neuen Omikron-Variante bis zum letzten Moment daran gezweifelt. Selbst am Vorabend der Abreise fragte ich im Reisebüro, ob der Flug nicht doch gecancelt worden sei. Hatte ich meinen Freunden geschildert, dass ich ein Erlebnis wie aus Tausendundeiner Nacht vor mir hätte, so hatten die bisherigen Vor-Feierlichkeiten bereits alle meine Erwartungen mehr als erfüllt. Doch die eigentliche Hochzeit übertraf alles. Nur mit einem Einritt des Bräutigams auf einem Elefanten ins Haus der Braut (wie es früher manchmal geschah), wäre alles noch zu toppen gewesen. Jetzt wurde der Elefant durch einen prächtigen weißen Rolls Royce ersetzt. Das Haus und der große Garten von Natashas Eltern waren in ein Meer aus Blumen und Lichtern verwandelt worden. Am Eingang zum Haus standen auf beiden Seiten hohe Palmen, an deren schlanken Stämmen sich Lichterketten emporrankten. Im Inneren des Hauses schufen die Blumen und die Beleuchtung eine märchenhafte Atmosphäre. Der Blickfang war die kunstvolle Rotunde, ein Pavillon aus weißen Blumen, der die Braut noch vor den Blicken der Gäste verbarg. Sie saß im Inneren (wie ich später sehen konnte, auf einer mit weißer Seide bezogenen Bank). Wir, Haiders Familie, wurden zu dem uns zugewiesenen Platz begleitet, um der Beurkundung des Ehevertrags beizuwohnen. Ich betone, dass es sich dabei um einen rein zivilrechtlichen Vertrag handelt, der von den Eltern des Paares separat geschlossen wird. Zu Beginn also die Braut auf der einen Seite des Hauses, in Nataschas Fall unter einem spektakulären Blumenpavillon, und Haider in einem anderen Teil des großen Hauses, umgeben von Eltern und engen Verwandten. Haider, sehr groß und von vornehmer Erscheinung, erstrahlte an diesem Abend in traditioneller Hochzeitskleidung. Sie bestand aus einer schlichten cremefarbenen Jacke, lang und schmal, und der typischen schmalen weißen Hose. Die Schuhe, die eher wie exquisite, goldbestickte Pantoffeln aussahen, waren an den Zehen nach oben gebogen, so, wie man sie aus Ali Baba kennt. Das Exotischste von allem war der Turban, ebenfalls cremefarben, gekrönt von einem Stück gestärktem Stoff in selber Farbe, das wie ein Fächer gefaltet war. Im Nacken, dort, wo der Turban endete, war ein hauchdünnes gerafftes Stoffstück befestigt, das zum Teil über den Rücken hing. Der Bräutigam, der ohnehin schon groß und stattlich ist, sah in diesem Outfit wie ein Märchenprinz aus. Es wimmelte nur so von Fotografen. Alles ging sehr gemächlich vonstatten. Häppchen wurden gereicht. Obwohl es sich um eine standesamtliche Trauung handelte, mussten wir auf den Mullah warten, der uns seinen Segen gab. Schließlich kam dieser, ein alter, kleiner, pummeliger Mann, der mit einem Stock ging. Um die Papiere zu unterschreiben setzte er sich auf dasselbe Sofa wie der Bräutigam und der Vater der Braut. Danach erhob er sich und ging zu der Blumenrotunde, die die Braut umgab. Er kehrte zurück und setzte sich wieder auf das Sofa, wo er zur Lobpreisung Allahs mit leiser Stimme Verse aus dem Koran zu singen begann. Nachdem dies geschehen war, verließ der Mullah den Raum und der große Moment der Begegnung der Frischvermählten war gekommen. Der Tradition nach sollte dies der erste Moment der Begegnung sein. Wir alle begleiteten Haider zum Pavillon, wo der Blumenvorhang zur Seite gezogen worden war und Natascha, anmutend wie eine Schönheit aus einer persischen Miniatur, umgeben von ihrer Familie, wartete. Ihre Mutter war in Tränen aufgelöst. Haider setzte sich an die rechte Seite seiner Frau. Noch immer war das Gesicht der Braut mit einem Schleier verhüllt. Ein langer Spiegel wurde in den Schoß des Brautpaares gelegt. Mit gesenktem Kopf und unter Abnehmen des Schleiers sahen sie sich zum ersten Mal in dem Spiegel. Viele Fotos wurden geschossen. Abgesehen davon, dass ich Natasha in ihrem Hochzeitskleid mit einer persischen Miniatur vergleiche, überlasse ich es den Fotografen die Schönheit und Eleganz der Braut zu dokumentieren. Alle drängten dem Brautpaar zu gratulieren und, umringt von Natashas Eltern und Verwandten, sich auf einem gemeinsamen Foto zu verewigen. Eine immense endlose Fotosession im Rausch von Freude und Glück. Hie und da liefen die Kinder von Haiders älterer Schwester, die in Dallas lebt, umher. Die beiden Jungen, 4 und 5 Jahre alt, waren wie Miniatur-Bräutigame gekleidet, ebenfalls mit Turbanen. Es war ein entzückender Anblick. Mein Handy hatte ich an diesem Abend nicht mit, weil ich auf die Profiaufnahmen des Berufsfotografen vertraute.
Das Abendessen fand in dem geräumigen Innenhof des Hauses statt. In der Mitte der vielen langen Tische aufgereiht, befanden sich wunderschöne Blumenarrangements, die an den schmalen Enden bis auf den Boden reichten. Es war eine atemberaubende und prächtige Dekoration, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Was das Essen betrifft, so konnte man zwischen pakistanischen Gerichten, Sushi und Pekingente wählen. Es gab viele Tische, aber die meisten jungen Leute zogen es vor, beim Essen zu stehen. Man setzte sich einfach hin, wann und wo man wollte. Keine Sitzordnung, kein Protokoll.
Im Haus stand ein exotischer Baum mit großen runden Blättern. Auch er war spektakulär dekoriert worden. An den Enden seiner Äste waren verschiedene Blumensträuße befestigt, die so aussahen, als würden sie tatsächlich aus den Ästen blühen. Der Baum stand ein wenig hinter der Blumenrotunde der Braut.
Bei einer östlichen Hochzeit ist dieser Abschied des Brautpaares ein Moment extremer Emotionen, was bei westlichen Hochzeiten in der Regel nicht der Fall ist. Im Westen konzentriert sich in der Regel alles auf einen Tag: Auf die religiöse/zivile Zeremonie folgt ein Bankett und dann wird bis in die frühen Morgenstunden getanzt. Obwohl die Ehe von Haider und Natasha meines Wissens nach nicht arrangiert war, sondern aus Liebe geschlossen wurde, ist die Braut beim Verlassen ihres Elternhauses immer noch von starken Emotionen durchdrungen. Früher wäre sie in ein völlig neues Leben gegangen, in dem ihr alles und jeder unbekannt war… Nun war er also da, der Höhepunkt, die Abreise des Brautpaares aus dem Haus der Brauteltern. Anders als bei westlichen Hochzeiten bedeutete dies jedoch nicht, dass sie das Haus verließen und auf der Stelle sich selbst überlassen waren. Der große Tag war für diese Frischvermählten noch nicht vorbei. Haider und Natasha stiegen in den großen weißen Rolls und machten sich auf den Weg zu Haiders Elternhaus. Und wir, Haiders engere Familie, waren ganz dicht dran.
Obwohl das Auto des Brautpaares zuerst abfuhr, fuhr der Fahrer langsam, damit die Familie vor dem Paar ankommen, um es im Haus in Empfang nehmen zu können. Und so ging die Feier mit Haiders engsten Familienmitgliedern weiter. Die Frischvermählten trafen genau zum richtigen Zeitpunkt ein. Alle Familienmitglieder waren da und bereit, sie zu begrüßen. Es wurden Tabletts mit köstlichen Süßspeisen aufgestellt. Die Party ging weiter.
Nun fand ein weiteres Ritual statt: Haider und Natascha saßen auf dem Sofa, umringt von den jüngeren Familienmitgliedern und den älteren, die auf Stühlen saßen. Eine kleine Schale mit einer dicken, weißen Mischung, die wie Milchreis oder etwas Ähnliches aussah, wurde gebracht und vor das Brautpaar gestellt. Eine kleine Menge wurde in Natashas Handfläche gegeben. Haider neigte den Kopf und leckte es von ihrer Hand ab. Das Gleiche wird dann später üblicherweise umgekehrt gemacht. Sie folgte diesem Beispiel jedoch nicht. Schließlich verließen die Frischvermählten das Haus, um die Nacht in einem Hotel zu verbringen. Ihre Abreise verlief nicht ohne Überraschung, denn plötzlich ertönten Schüsse. Sie wurden von Haiders Onkel abgefeuert, der in der Nachbarschaft seiner Eltern wohnt. Er hatte beschlossen, dem Paar einen mitreißenden Abschied zu bereiten. Das kam für uns alle völlig unerwartet und sorgte kurzzeitig für Verwirrung und Unruhe. Der Rest der Familie blieb noch ein wenig länger. Schließlich gingen auch wir. Ich war voller unvergesslicher Eindrücke, was mich aber nicht daran hinderte, sofort einzuschlafen.
Montag, 27. Dezember 2021
An diesem Abend fand im Haus von Natashas Eltern ein Ball statt! Ein abruptes Ende der Feierlichkeiten war noch nicht in Sicht. Am Tag nach der Nikah, der eigentlichen Hochzeit, gingen die Feierlichkeiten fröhlich und in vollem Gange weiter. Wie ich es bisher in diesem Bericht getan habe, möchte ich auch hier kurz erwähnen, wie der Tag danach für die Braut begann: Ihre Schwestern kamen ins Haus ihrer Eltern und Schwiegereltern, um ihr das Frühstück zu bringen. In seinem traditionellen Kontext betrachtet, ist dies ein Brauch, den ich als äußerst delikat und rührend empfinde. Abgesehen von der Tradition und angesichts der Tatsache, dass Natasha keine Schwester, sondern nur einen Bruder hat. Ich vermute, dass sie in diesen modernen Zeiten und in einem Hotel auf diesen liebenswerten Brauch verzichtet hätte. Traditionell wird am Abend nach der Nikah, im Haus der Eltern des Bräutigams, die Valima (die Vollendung der Hochzeit) gefeiert. In diesem Fall wurde die Valima drei Tage später abgehalten.
Da tagsüber nichts Besonderes los war, dachte ich, ich könnte mich bei einem Spaziergang durch den nahegelegenen Park ein wenig bewegen. Das Haus, oder besser gesagt, der Garten des Hauses meiner Schwester, grenzt an eine Schnellstraße. Gleich auf der anderen Seite befindet sich ein Gemeindepark. Am Nachmittag überredete ich Ijlal, den jüngsten Sohn meiner Schwester, mich in den Park zu begleiten. Nach einem kurzen Stopp inmitten des vierspurigen Verkehrs machten wir uns auf den Weg zu einem der zahlreichen Eingänge des Parks. Es handelt sich um einen großen, ovalen Park mit einem breiten Gehweg, der sich über eine Länge von etwa 2 km erstreckt. Ich war froh, mir die Zeit in Ijis angenehmer Gesellschaft zu vertreiben. Der Weg war von Bäumen und Büschen gesäumt und auch auf dem Rasen, der den Hauptteil des Parks ausmachte, standen ein paar Bäume. Insgesamt ein schöner Park. Es gab ein paar Jogger, aber meistens schlenderten nur Leute mit ihren Kindern vorbei. An diesem Abend verließen wir das Haus meiner Schwester erst sehr spät, gegen 22.00 Uhr, um zum Ball zu gehen. Alle Kleidungsstücke waren mit prächtigen Stickereien versehen. Es schien, dass sich unsere Frauen für diesen Anlass selbst übertroffen hatten. Mir fiel auf, dass mehrere von ihnen ein kurzes, enges Mieder trugen, das die Taille freiließ. Eine der schönen Großnichten trug etwas, das man als kaum mehr als einen super bestickten und mit Juwelen besetzten BH bezeichnen könnte. Es ist anzumerken, dass die Damen ebenso schnell dabei sind, sich mit dem allgegenwärtigen Kopftuch zu bedecken, wie sich zu enthüllen.
Der Eingang zum Garten und die Einfahrt zum Haus von Nataschas Eltern erstrahlten in der gleichen magischen Beleuchtung wie am Tag zuvor. An der Tür begrüßte uns Haider. Der Saal war mit einem großen Podest, das sich nur leicht über den eigentlichen Boden erhob, zur Tanzfläche umfunktioniert worden. Dieses schwarze Podest war mit einem auffälligen Muster aus weißen Strahlen, die von der Mitte ausgingen, versehen. Die Decke war mit Blumen bedeckt, und von ihr hingen mindestens ein Dutzend Kristalllüster, die mit einem sanften Licht eine traumhafte Atmosphäre schufen. Im angrenzenden Innenhof, der für das Abendessen vorbereitet worden war, war die Beleuchtung ebenfalls sehr viel gedämpfter als am Vortag. Die langen Tische hatten wunderschöne Blumenarrangements, die in der Mitte und an den Enden angebracht waren. Die Stände, an denen das Buffet serviert wurde, waren mit schwarz-weiß oder blau-weiß gestreiften Markisen überdacht, wie es auf Jahrmärkten üblich ist. Offenbar gab es diese Art von Ständen in Frankreich bereits im 18. Jahrhundert. Zufällig hatte ich bei meiner Rückkehr nach Spanien irgendwo darüber gelesen. Diese Stände gaben dem für das Essen reservierten Bereich eine reizvolle, informelle Note. Für den Ball hatten die Gastgeber eigens einen berühmten DJ aus Karachi eingeladen, der in letzter Minute mit dem Flugzeug angereist war. Es wurde die ganze Nacht getanzt, nonstop. Junge Pakistaner, aber auch nicht mehr ganz so junge, tanzten mit einem Elan und einer Begeisterung, die man gesehen haben muss, um sie zu verstehen. Und sie genießen es, wenn die Musik auf Hochtouren läuft. Das war fast jeden Tag der Fall, vor allem, wenn eine Band auftrat. Aber zum Glück war an diesem Abend die Akustik perfekt und nicht übertrieben laut.
Ich kann hier nicht verabsäumen, die Freundlichkeit und die extreme Rücksichtnahme unserer Gastgeber zu erwähnen: Ein sehr hübsches junges Mädchen in einem schwarzen, mit Perlen bestickten Samtkleid kam auf mich zu und fragte mich, ob ich etwas zu trinken wollte: „Wasser? Eine Erfrischung? Etwas von der Bar?“ „Von der Bar?“ Ja, von der Bar, sagte sie. Diese Party hatte eine Bar, etwas, das von einigen der jüngeren Gäste sehr geschätzt wurde. Natascha hatte mir, als sie nach Madrid kam, gesagt, dass es eine Bar geben würde. Und die Bar trug zweifelsohne zur fröhlichen Atmosphäre des Balls bei, der bis drei Uhr morgens dauern sollte. Ich bedankte mich bei dem jungen Mädchen und sagte, ich wolle nichts mehr. Sie kam noch ein paar Mal zurück, um mir zu sagen, dass die Gastgeber, die wohl ihr Onkel oder ihre Tante waren, sie gebeten hatten, sich die ganze Nacht um mich zu kümmern. Die Wahrheit ist, dass ich von dieser rücksichtsvollen Geste der Gastgeber zutiefst gerührt war. Da meine Schwester nicht an dem Ball teilnahm, war es möglich, dass ich mich als Ausländerin, die alleine und viel älter als alle anderen Menschen um sich herum war, isoliert und fehl am Platz fühlen würde. Aber nichts dergleichen geschah. Ich fühlte mich in die allgemeine Freude und Fröhlichkeit vollkommen integriert. Und es gab noch eine weitere reizvolle Note: In einem bestimmten Moment bat Mubashrah, Haiders Mutter, die Band, die „Blaue Donau“ zu spielen. Und tatsächlich, nach einer Weile erklang der berühmte Wiener Walzer, der die Donau verherrlicht, in Lahore an den Ufern des Flusses Ravi im Punjab! Akkorde, die jedoch bei der pakistanischen Jugend, die nur auf Rockmusik steht, keine Begeisterung auslösten. Und vor allem tanzt jeder für sich, dreht sich, wiegt sich und reißt die Arme hoch und runter und kreuz und quer. Als Paar zu tanzen, ist in islamischen Ländern natürlich nicht üblich. Ich stand auf, wie es, wie ich glaube, von meiner Nichte erwartet wurde, und ging mit dem großen, gut aussehenden Ijlal, der mich an diesem Nachmittag in den Park begleitet hatte, jedoch nicht die geringste Ahnung vom Wiener Walzer hatte, auf die Tanzfläche. „Führe mich, Tante“, sagte er, der im Moment genauso verwirrt war, wie ich. Die Idee, einen Mann im Walzer zu führen, war für mich neu. Ich führte ihn, so gut ich konnte, und wir machten ein paar Drehungen. Alles in allem war es ein großer Spaß, sich für einen kurzen Moment im Kreis zu drehen und alle Vorsicht in den Wind zu schlagen. Die Tanzfläche hatte sich inzwischen bis auf uns zwei komplett geleert. Der ganze Vorfall ist mir in guter Erinnerung geblieben.
Mit der Rückkehr der Rockmusik war die Tanzfläche in kürzester Zeit wieder so voll wie eh und je, wobei die Frischvermählten zu den Begeistertsten gehörten. Nach einer Weile ging ich los, um etwas zu essen. Am Buffet gab es eine köstliche Auswahl an allem, was man sich vorstellen kann. Ich bin nicht sehr scharf auf Fleisch und bediente mich gerne an Reis, Chapatis und Gemüse. Das Spinatpüree, das die Pakistaner mit Paneer (Käse) servieren, ist eine Delikatesse, die nur in den Wintermonaten zubereitet wird, weil es in den heißen Monaten unmöglich ist, Spinat anzubauen. Danach kehrte ich zurück und setzte mich in die Nähe der Tanzfläche. Es gab eine niedrige Trennwand zwischen dem Saal und dem Innenhof. Dort setzte ich mich hin und hatte einen guten Blick auf alles und in aller Ruhe das Haus und seinen Grundriss studieren. So riesig es auch ist, so hat es doch etwas von dem Stil eines japanischen Hauses. Ohne Fliegengitter oder Schiebetüren, wie sie für japanische Häuser typisch sind, aber ich nehme an, dass man sie auf Wunsch einbauen könnte, um den Innenhof vom Flur zu trennen usw. Natürlich gab es auch Säulen, um das Dach zu stützen. Es machte mir Spaß, all diese architektonischen Überlegungen anzustellen und meine Bewunderung für Ayesha, unsere Gastgeberin, die das Haus entworfen hatte, wurde immer größer. Das junge Mädchen, das sich so liebevoll um mich gekümmert hatte, kam zurück, um mich zu fragen, ob ich etwas wolle. Ich blieb sitzen und beobachtete all die Menschen, jung und alt, beim Tanzen. Die jungen Leute tanzten unermüdlich. Ein paar Mal ging ich, um mich ein wenig zu bewegen, auch auf die Tanzfläche und schunkelte ein wenig hin und her – oder zumindest versuchte ich, den kubanischen Stil nachzuahmen, den subtilen, karibischen Stil, der ohne die fuchtelnden Armbewegungen auskommt, die die jungen Leute jetzt mögen. Auch die Armbewegungen des Flamenco-Tanzes sind unendlich viel subtiler und anmutiger. Aber das Wichtigste hier und jetzt war, dass alle einen riesigen Spaß hatten. Als ich zu meinem angenehmen Beobachtungsposten zurückkehrte, sah ich eine ganze Reihe von sehr gutaussehenden jungen Männern hereinkommen. Alles geeignete Junggesellen, nehme ich an. Sie nahmen ihren Platz direkt neben der Tanzfläche ein, um die jungen Schönheiten zu begaffen, die dort tanzten. Es war bereits nach ein Uhr nachts, als sie ankamen. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber ich glaube, sie kamen absichtlich so spät, um Aufmerksamkeit zu erregen und ihrer Anwesenheit mehr Wert zu verleihen.
Eine andere Sache hat mich an diesem Abend sehr amüsiert. Ich habe bereits erwähnt, dass die Kinder bei allen Festivitäten anwesend waren und sich an allem erfreuten und beteiligten. Als ich mich irgendwann zu einer Bank begab, von der aus ich die ganze Szenerie überblicken konnte, sah ich zu meinem Erstaunen einen Kinderwagen, der in der Nähe der Tanzfläche abgestellt war. Das Baby schlief selig, während die Eltern sich beim Tanzen vergnügten. Zu diesem Zeitpunkt war es bereits weit nach zwei Uhr nachts! Der Ball ging fröhlich weiter bis drei Uhr morgens. Ich beschloss, dass es für mich ein guter Zeitpunkt war, um mich zu verabschieden. Haiders Eltern hatten anscheinend den gleichen Gedanken gehabt. Nataschas Eltern begleiteten uns zu den Autos, und ich hatte noch einen Moment Zeit, die herrliche Beleuchtung im Garten zu genießen.
Dienstag, 28. Dezember 2021
Heute begannen in der Familie die Feierlichkeiten zur zweiten Hochzeit. Aleena,
eine der Cousinen von Taimur, dem Bräutigam, hatte die Einladung entworfen. Das Design war hübsch, sehr künstlerisch: Auf blauem Hintergrund waren drei Tauben verteilt, die liefen und drei weitere, die flogen. Darunter, in der linken Ecke, war ein kleiner brauner Hahn zu sehen, hinter ihm ein weißer, mit ausgebreiteten Flügeln. Hatte die Darstellung dieser Vögel etwas Symbolisches? Mir fielen einige Möglichkeiten ein, wie das Motiv gedeutet werden könnte. Während sie übersetzte, erzählte mir Minah, dass Afzel einmal beschlossen hatte auf dem Bauernhof Hühner zu halten, was alle Enkelkinder sehr erfreut hatte.
Den größten Teil des Vormittags verbrachten wir mit dem Vorbereiten und Verpacken der Geschenke, die Farah und Imran zu den Eltern von Anum, Taimurs Verlobter, bringen wollten. Die Geschenke wurden alle schön verpackt und in den Kofferraum des Autos geladen. Wir aßen im Haus meiner Schwester zu Mittag. Danach, gegen drei Uhr nachmittags, brachen wir auf, um ein weiteres Essen mit Taimurs zukünftigen Schwiegereltern einzunehmen. Wir kamen in einem Viertel namens Cantt an. Es hat einen Teil, der sehr angenehm ist, mit vielen Bäumen. Diese Wohngegend wird von hochrangigen Offizieren des Militärs bevorzugt. Mustafa, der Vater von Anum, ist ein General der Infanterie. Der Name seiner Frau klang ähnlich wie Nenúfar (was auf Spanisch Seerose bedeutet). Sie ist eine charmante Dame. Ihr Ehemann, wie es sich für einen Militär gehört, war eher zurückhaltend. Farvah erzählte mir später, dass der Name seiner Frau Nilofar ist, ebenfalls ein schöner und poetischer Name. Und dass sie auch ein hoher Offizier sei. Nichts Geringeres als ein Oberst!
Das Haus war modern gestaltet, elegant, nicht übertrieben, mit einer schönen Wendeltreppe. Als Nilofar sah, dass ich mich für die Treppe interessierte, bot sie mir freundlicherweise an, dass eines der jüngeren Familienmitglieder mich auf einer Tour durch das Haus begleiten würde. Im ersten Stock befand sich auf der großen Terrasse ein runder Springbrunnen. Und von der Dachterrasse aus hatte man einen schönen Blick auf die von Bäumen gesäumten Straßen und die eleganten Häuser und Gärten dieser Gegend.
Die vielen Geschenke wurden aus dem Auto geholt und ins Wohnzimmer gebracht. Ich dachte, sie würden ordnungsgemäß – wie es früher üblich war – vor allen Anwesenden geöffnet werden. Aber das geschah nicht.
Nun ist es angebracht, eine kurze Beschreibung von Taimur und Anum zu geben, dem Brautpaar der zweiten Hochzeit. Taimur ist ein gutaussehender, bärtiger junger Mann, der bald 30 Jahre alt wird. Er hat etwas von einem Mystiker an sich. Er ist, wie ich mir vorstellen würde, ein Sufi. Welch ein Kontrast zwischen ihm und Haider, der eher die Ausstrahlung eines Bonvivant hat. Taimur absolvierte sein gesamtes Studium in den Vereinigten Staaten und schloss in Harvard ab. Er arbeitete zunächst für IBM und verbrachte dann die letzten drei Jahre in Lahore. Ich glaube, er leistete dort eine wohltätige Arbeit. Ich weiß nicht, wo er Anum kennengelernt hat, die, wie ich glaube, ebenfalls an einer der großen Universitäten in den USA promoviert hat. Es ist mir unmöglich zu sagen, welche der beiden Bräute – Natasha oder Anum – schöner und charmanter war. Beide haben markante Gesichtszüge und große dunkle Augen. Ich könnte mit einem Spruch der alten Dichter fortfahren: Lippen wie Korallen, Zähne wie Perlen…
Wir blieben noch eine ganze Weile im Wohnzimmer. Ich habe mit Imrans Schwestern gesprochen, er hat vier, alle reizende und interessante Frauen. Noch während wir dort saßen, wurde uns eine klare Suppe serviert, und danach begaben wir uns in den Speisesaal. Wie die Suppe so war auch das Essen thailändisch. Eine leichte willkommene Kost zu dem ausgezeichneten, aber sättigenden pakistanischen Essen, das wir in den letzten Tagen zu uns genommen hatten. Danach gingen wir zum Fotografieren in den Garten. An der Wand direkt neben dem Eingang zum Garten haben Mustafa und Nilofar einen hübschen und sehr originellen Springbrunnen installiert: Er besteht aus blauen und weißen Mosaikfliesen und hat einen genialen Miniatur-Wasserfall. Ich habe ihn geliebt.
Wir kehrten zum Haus meiner Schwester zurück und bereiteten uns auf das große abendliche Ereignis vor: Ein Abendessen mit anschließendem Qawwali-Konzert im Haus von „T2“, der, wie ich bereits erwähnte, der Adoptivsohn der Familie Naqvi ist. Wegen seines Erfolgs mit seinem Nachrichtensender wird er in der Familie bewundernd als Tycoon bezeichnet. Im Haus von Titu war alles im großen Stil. Für die Veranstaltung an diesem Abend war der größte Teil des Gartens mit einem Sonnensegel und der Boden mit Teppichen bedeckt worden. Die Fläche, die von der Markise bedeckt wurde, war riesig. Ein langes, hohes Podest bildete eine Bühne, auf der die Künstler auftreten sollten. Davor befanden sich etwa 10 Lautsprecherboxen. Vor dem eigentlichen Konzert wurde moderne Musik gespielt, die meiner Schwester und mir zu laut war. An diesem Abend waren die jungen Leute in der Überzahl und die Party dauerte bis weit nach Mitternacht. Für meine Schwester und mich war die Musik nur schwer zu ertragen. Doch wie es die Höflichkeit verlangt, blieben wir noch eine ganze Weile und gingen kurz nach dem Abendessen, bevor das eigentliche Qawwali begann. Später fand ich auf Wikipedia heraus, dass es sich dabei um eine, auf dem indischen Subkontinent traditionelle Art religiöser Musik handelt, die während des Mogulreichs aus einer Verschmelzung von arabischen und Hindustani-Rhythmen entstand. Im Grunde ist sie ein Mittel zur Verbreitung des Sufismus (mystischer Zweig des Islam). Eine neue Freundin in Spanien, Witwe eines Pakistaners, die lange Zeit in diesem Land gelebt hatte, erklärte mir, dass die Klänge oft die Kraft besitzen Menschen in einen Trancezustand zu versetzen. Die Musiker sitzen alle im Schneidersitz auf der Bühne.
Mittwoch, 29. Dezember 2021, die Valima
Am nächsten Morgen sollte im Haus meiner Schwester jeder, der Pakistan verlassen wollte, einen PCR-Test machen. Shaji hatte mich freundlicherweise im Auto begleitet, um zum Labor zu fahren. Entlang der Straße befand sich der Park und, wie es schien, eine ganze Reihe von Gärtnereien, die sich aneinanderreihten. Ich hätte gerne einen Rosenstrauch gekauft, einen von denen mit den roten Rosen, die so intensiv und wunderbar duften und die hier in unglaublicher Fülle für Girlanden, frische Blumenvorhänge, zum Verstreuen auf dem Boden und für viele andere Zwecke verwendet werden. Wir kehrten zu dem Haus zurück, in dem Shaji wohnte, und der Fahrer brachte mich zu der Klosterschule, die von den Nonnen des Ordens von Jesus Maria geleitet wird, einem Lehr- und Missionsorden, dem meine Schwägerin Rosario angehört hatte.
Der Besuch hat mich sehr bewegt. Die Mutter Oberin, Pilar de San Juan, ist seit 24 Jahren in Lahore. An diesem Tag war die Schule geschlossen, die Mädchen waren in die Weihnachtsferien gereist. Die Schule befindet sich in einer angenehmen Nachbarschaft aus der Kolonialzeit. Das Gebäude ist riesig, feierlich, aus rotem Backstein und von einer hohen Mauer umgeben. Im Garten, in der Nähe des Gebäudes, steht eine klassische Statue, die die Gründerin des Ordens, die Französin Claudine Thévénet, darstellt. Ich hatte einige Pakete Nougat aus Madrid für die Familie Naqvi mitgebracht, vor allem aber für Shaji, die diesen typisch harten spanischen Nougat, der so reich an Mandeln ist, liebt. Ich hatte sie kurz nach meiner Ankunft übergeben, aber heute hatte ich eine Schachtel Dona Jimena mit einer Auswahl anderer typischer Weihnachtssüßigkeiten „wiedergefunden“. Ich freute mich sehr, dies Mutter Pilar als kleine Überraschung überreichen zu können. Sie war absolut begeistert. Zu Beginn meines Besuchs war auch eine ältere Nonne schottischer Abstammung, die in Indien geboren wurde, in den kleinen Raum gekommen, der für den Empfang von Besuchern genutzt wurde. Und auch zwei junge Nonnen asiatischer Herkunft. Wir unterhielten uns anfangs auf Englisch, aber als die Zeit verging und die anderen Nonnen gingen, wechselten wir, wie es sich gehört, zum Spanischen über. Der Fahrer nahm einen angenehmeren Weg, um zum Haus meiner Schwester zurückzukehren. Trotzdem machte mich das dichte Verkehrsaufkommen – so viele Autos, all die unzähligen Motorräder und Srickshaws/Isocarros – fassungslos. In all den Tagen, die ich in Lahore verbracht hatte, hatte ich keinen einzigen Unfall gesehen. Das grenzt für mich an ein Wunder.
Meine Notizen sind fast auf dem neuesten Stand! Gegen 18.45 Uhr sagte man mir, es sei Zeit, sich auf das große Fest des Abends vorzubereiten: die Valima. Dabei handelt es sich, wie bereits erwähnt, um die Feier zur Vollziehung der Hochzeit. Wegen der großen Zahl der Gäste fand die Feier in einem Hotel statt und nicht im Haus von Haiders Eltern. Sie fand in einem Viertel von Lahore statt, in dem sich die Engländer niedergelassen hatten. Das Faletti stammt aus dieser Zeit – aus dem Jahr 1880 –, obwohl das Hotel in seiner heutigen Form nicht das Original ist, sondern ein supermoderner Komplex. Die Einladung war für 19 Uhr ausgesprochen. Wir verließen das Haus mit Verspätung, die Frauen und die jungen Familienangehörigen – wie jeden Tag – prächtig gekleidet; die Hälfte der Männer in pakistanischer Kleidung, die andere in westlichen Anzügen. In der großen Hotelhalle waren die Stühle wie in einem Theater in Reihen angeordnet, mit einem Gang in der Mitte und an den Seiten. Vor dieser Sitzordnung befand sich ein großes Podest mit einem Sofa, auf dem das Brautpaar Platz nehmen würde. Auf der rechten Seite des Saals war man damit beschäftigt, das Buffet vorzubereiten.
Der Saal füllte sich, und schließlich trafen auch die Frischvermählten ein. Natasha glänzte in einem blassblauen Seidenchiffonkleid, das über und über mit Strasssteinen bestickt war. Ein überirdischer Anblick! Am Tag der Valima ist alles ein Geschenk der Schwiegereltern – so will es der Brauch. Die Farbe des Kleides für die Valima – normalerweise entweder blau oder grün – wird von der Schwiegermutter ausgewählt. Mubushrah erzählte mir, sie habe die Farbe Blau gewählt, weil es die Augenfarbe ihres Sohnes sei. Das junge Paar wurde sofort von den vielen Gratulanten umringt. Dann machten sie sich auf den Weg zum Sofa auf dem Podium, wo sie weiterhin die guten Wünsche der Anwesenden entgegennahmen. Die Fotografen waren die ganze Zeit wie immer überaus beschäftigt.
Ein Moment großer Freude und eine wunderbare Überraschung war für mich die Ankunft von Misbah, einer alten Freundin meiner Schwester. Sie hatte mich und Blanca, die Nichte und Patentochter von José Manuel, vor vielen Jahren anlässlich der Hochzeit von Mubasrah und Qasim in ihrem Haus aufgenommen. Sie kam auf Krücken, begleitet von ihrem Sohn Mumshad und ihrer Schwiegertochter. Das Essen, das an diesem Tag serviert wurde, war viel einfacher. Es beschränkte sich auf ein Hauptgericht und eine Nachspeise. Dies war von der Regierung (um übermäßigen Luxus und Prunk zu verhindern) für Feiern in Hotels und an öffentlichen Orten vorgeschrieben. Privathaushalte waren von dieser Regelung, wie wir gesehen haben, ausgenommen. Auch die Dauer der Party war auf genau drei Stunden begrenzt. Um 22 Uhr wurde das Licht ausgeschaltet. Viele der Gäste waren schon früher gegangen, kurz nachdem das Abendessen serviert worden war. So endete der letzte Akt der Hochzeit Nummer 1.
Donnerstag, 30. Dezember 2021
Dieser Tag stand ganz im Zeichen von Hochzeit Nummer 2. Obwohl, um ehrlich zu sein gab es noch einen weiteren schönen Empfang, der genau zur Mittagszeit stattfand, um nicht mit den Feierlichkeiten von Hochzeit Nummer 1 zusammenzufallen, die noch in vollem Gange waren. Ich glaube, ich habe hier etwas durcheinandergebracht, denn wir waren nachmittags im Haus von Anums Eltern und nicht „genau mittags“, wie ich hier sage, also muss es einen weiteren Empfang an einem der letzten Tage gegeben haben! Offensichtlich zu viele schöne Ereignisse, als dass ich sie mit meinem Gedächtnis bewältigen könnte.
Diesmal wurde die Hochzeit in der Badshahi-Moschee gefeiert. Wir sind alle früh aufgestanden, um pünktlich da zu sein. Das war das Wichtigste für Farvah, Imran und ihren Sohn Taimur. Eine verspätete Ankunft hätte den Verlust der Reservierung für die Zeremonie bedeutet. Obwohl die Trauung in einer Moschee stattfindet, handelt es sich wie üblich um einen zivilrechtlichen Vertrag. Als wir uns auf den Weg machten, war es ein wenig kühl, aber der Himmel war klar und blau. Wir durften ganz in der Nähe der Moschee parken. Ab einem gewissen Moment mussten wir unsere Schuhe ausziehen. Es war ziemlich kalt, was vor allem an der hohen Luftfeuchtigkeit an diesem Tag lag. Farvah hatte an alles gedacht: Sie hatte drei Taschen mit Socken mitgebracht, damit wir alle unsere Füße warmhalten konnten.
Wir betraten einen Saal ganz rechts in der Moschee, in dem die Hochzeit gefeiert werden sollte. Darin waren Männer und Frauen durch eine Leinwand aus grünem Tuch getrennt. Erst später konnte ich auf Fotos den Bereich sehen, der für die Männer reserviert war. Dort, wo wir saßen, lag ein Teppich auf dem Steinboden. Die jungen Leute und die agileren unter den Älteren, setzten sich darauf. Für den Rest von uns waren ein paar Stühle vorbereitet. Anum war da, sie sah wunderschön aus in Rot, der klassischen Farbe für eine Nikah. Auch sie saß auf dem Boden. Dann kam ihr Vater und setzte sich neben sie. Er bat sie um ihr Einverständnis zur Trauung. Dann unterschrieb er vor den Zeugen, kehrte er zu dem Ort zurück, an dem der Bräutigam und alle Männer versammelt waren, wo die Vertragsunterzeichnung beendet wurde.
Wir verließen das schummrige Halbdunkel der Moschee und traten in den weitläufigen Innenhof in den strahlenden Sonnenschein. Alles war Freude, Glück, Glückwünsche und Umarmungen. Und natürlich – Fotos. Das Wetter war perfekt. Es hätte kein schönerer Morgen sein können. Die Moschee mit ihren prächtigen Intarsien aus weißem Marmor sah noch viel schöner aus als bei unserem letzten Besuch, als der Himmel bedeckt und grau war. Bei strahlendem Sonnenschein konnte man die Majestät des Gebäudes in ihrer ganzen Pracht wahrnehmen. Wir verließen den Innenhof um in die Gärten zu gehen. Auf dem Weg dorthin drehte Anum an Taimurs Seite ein paar Runden, als würde sie tanzen. Es gibt einige wunderbare Fotos, die diesen spontanen Ausdruck von Glück festhalten. In der Nähe befand sich jedoch ein Wachmann, der die Frischvermählten schnell darauf hinwies, dass solche Darbietungen auf dem heiligen Gelände verboten seien. Alle, die an der Hochzeit teilgenommen hatten, sollten nun in die Gärten hinabsteigen, die zwischen der Moschee und dem angrenzenden Hof und dem berühmten Fort liegen. Dort, auf einer der großen rechteckigen Rasenflächen, waren Bänke und ein großer langer Tisch aufgestellt worden. Es war die erste und intimere Feier der Hochzeit, danach würden die Feierlichkeiten im Haus eines Onkels von Anum weitergehen. Farvah und Imran hatten für Erfrischungen und große Tabletts mit köstlichen und farbenfrohen Süßigkeiten gesorgt, die in den Gärten serviert wurden. Außerdem gab es für alle Damen hübsche bunte Tütchen mit Nüssen, Pistazien, Rosinen, Datteln usw., die sie knabbern konnten.
Als wir uns noch vor der Moschee versammelten, bot mir eine Freundin von Munazzah, als sie merkte, dass ich nicht sofort hinuntergehen wollte, um in den Gärten zu sitzen, freundlicherweise an, mir die wunderschöne Galerie zu zeigen, die sich von der linken Seite der Moschee aus über die gesamte Länge des Innenhofs erstreckt. Ein Ort der Stille, genau wie unsere Klöster, der einen sehr zur Meditation anregt. Aber es war natürlich nicht der richtige Zeitpunkt für mich, mich der Meditation hinzugeben. Stattdessen verbrachte ich die Zeit damit, mit dieser charmanten und interessanten Frau zu plaudern, während wir die Galerie entlanggingen.
Nach dieser schönen Begegnung und Erfahrung machte ich mich auf den Weg hinunter in die Mitte der Gärten, wo sich ein wunderschöner kleiner, quadratischer Pavillon aus weißem Marmor befindet. Er ist leicht erhöht und an jeder Seite stehen vier lange, flache, rechteckige ehemalige Wasserbecken, aus denen in regelmäßigen Abständen Wasserstrahlen in die Luft gespritzt worden waren. Jetzt sind die Becken leer und kobaltblau gestrichen, was ein wenig unschön wirkt. In früheren Zeiten wäre es wunderbar gewesen, im Halbdunkel in der Mitte des Pavillons sitzend zuzusehen, wie die in die Luft steigenden Wasserstrahlen in die Becken plätschern. Dieses Vergnügen bleibt den Mogul-Kaisern vorbehalten, denen der exquisite Pavillon vor allem Schutz vor der schrecklichen Sommerhitze geboten hat. Offenbar hatte auch noch ein unter dem erhöhten Pavillon fließender Wasserstrahl für eine willkommene Abkühlung gesorgt.
Vom Pavillon aus wollte ich das Fort noch näher erkunden, aber die große Treppe, die von den Gärten hinauf zur Esplanade vor dem Fort führte, war gesperrt worden. Wahrscheinlich für unsere Hochzeitsgesellschaft. Was für ein Privileg! Schließlich ging ich dorthin, wo unsere Gruppe saß und sich angeregt unterhielt. Anums Eltern, die, wie ich bereits erwähnte, beide einen hohen militärischen Rang innehatten, gingen gerade eine weitere Treppe hinauf, an deren oberen Ende Absperrungen und Wachen aufgestellt worden waren. Ich folgte ihnen, und dank des Generals wurde mir der Durchgang gewährt. Von dort aus war es ein Leichtes für mich, die beeindruckende Festung näher zu betrachten. Während ich das Fort bewunderte, kamen zwei junge Mädchen auf mich zu und fragten, ob sie ein Foto mit mir machen dürften, und wollten wissen, woher ich käme. Sie waren sehr süß, schüchtern und voller Neugierde.
Dann folgte ich meiner Gruppe zur nächsten Etappe der Hochzeit. Haiders Eltern nahmen mich in ihrem Auto mit. Qasim saß am Steuer. Wir fuhren etwa 40 km oder mehr auf einer Art Umgehungsstraße, die teilweise noch nicht fertiggestellt war, und kamen schließlich in einem Wohngebiet in der Nähe des Flughafens an. Das Haus von Anums Onkel war groß und elegant, aber wir durften es nicht betreten. Alles war in dem riesigen Garten untergebracht. Neben dem Eingang war ein überdachter Durchgang angelegt worden, der ausschließlich aus Blumen bestand: rote Rosen, weiße Chrysanthemen und andere weiße Blumen. Jeder Blumenkopf war in der Mitte durchbohrt und auf einen feinen Faden gesteckt worden, was einen einzigartigen Anblick bot. So war es auch bei Nataschas Blumenpavillon gewesen.
Als das Brautpaar eintraf wurde es, während es sich in einen luftigen, ebenfalls mit Blumen geschmückten Pavillon zum Sofa begab, von uns mit Rosenblättern überschüttet. Eine Weile später wurde ein Spiegel gebracht, um der Tradition, dass Braut und Bräutigam sich „zum ersten Mal“ gemeinsam darin sehen, treu zu bleiben. Alles geschah mit viel Eleganz und Anmut. Anum, umwerfend schön. Die Frischvermählten vollzogen auch den Ritus des Ableckens von Milchreis aus der Handfläche des jeweils anderen. Braut Nummer 2, Anum, zögerte nicht. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht, tat sie es. Es war ein schöner und rührender Moment, als ein alter Herr im Rollstuhl, bei dem es sich wohl um Anums Großvater handelte, zum Blumenpavillon gerollt wurde. Alle machten respektvoll für ihn Platz. Er begrüßte das Brautpaar, danach kam ein halbes Dutzend älterer Männer, um ihn zu begrüßen.
Das Mittagsbuffet stand wie üblich in einer langen Reihe von Ständen mit einer großen Auswahl an köstlichen Gerichten bereit. Ich habe Fotos gemacht, als sie mit der Zubereitung der Chapattis begannen: Auf dieser Party wurden sie auf einer grifflosen Wok-Pfanne, die auf den Kopf gestellt war, zubereitet. Am liebsten hätte ich die Zubereitung im Haus meiner Schwester mitverfolgt – dort gibt es die besten Chapatis. Leider hatte ich keine Gelegenheit dazu. Der Koch hat mir jeden Morgen zwei Stück zum Frühstück bereitet. Ich aß sie pur, mit einem Kaffee dazu. Köstlich! Soviel ich weiß, ist das Mehl in Pakistan viel feiner als bei uns in Spanien.
Zurück zur Party. Das Wetter war perfekt, der Himmel strahlend blau, aber während wir aßen, zog eine Wolkendecke heran. Wie üblich begannen die Gäste sich nach dem Essen zu verabschieden, an diesem Tag schon später Nachmittag. Taimur und Anum fuhren im eigenen Auto, das reichlich und wunderschön mit roten Rosen geschmückt war, davon. Er selbst chauffierte den Wagen. Diese zweite Familienhochzeit, die offensichtlich auf ausdrücklichen Wunsch des Paares stattfand, war von eher „schlichtem“ Charakter. Es dauerte lange, bis wir zum Haus meiner Schwester zurückkehrten, wo am Abend die Eltern des Bräutigams die frisch Vermählten empfangen würden. Die Eltern von Taimur leben in den USA und haben kein Haus in Lahore.
Innerhalb weniger Stunden hatte sich das Haus komplett umgestaltet. Am Eingang hing ein Vorhang aus roten Rosen und der Boden war mit Rosenblüten bedeckt. Zu meiner großen Überraschung waren auch zwei glänzende schwarze Ziegen am Tor angebunden. Man gewöhnt sich rasch an die meisten Dinge und hinterfragt sie nicht, selbst wenn es sich um ein Privathaus mit eigenem Milchbüffel handelt. Und dann waren da auch noch die Ziegen. Ein weiteres Paar stand näher am eigentlichen Eingang des Hauses, jeweils in der Obhut eines jungen Mannes. Meine Neugier auf den ungewöhnlichen Anblick erregte Aufmerksamkeit, und man erklärte mir scherzhaft, dass die vier Ziegen an diesem Abend Teil des Grillfestes sein würden. Als Anum ankam, wurde er gebeten, den Kopf einer der Ziegen zu berühren. Vielleicht als Segen. Ich erfuhr dann, dass die vier Tiere an diesem Abend geopfert und für die Armen gespendet werden sollten. Ich betrat das Haus einige Zeit nach der Ankunft und dem Einzug der Frischvermählten. Die Rosenvorhänge verströmten einen intensiven, herrlichen Geruch. Es tat mir leid, auf die Blütenblätter zu treten, die den Boden bedeckten. Zwei Buffets waren aufgebaut worden: eines im Speisesaal und das andere im Innenhof, welcher ebenfalls völlig umgestaltet worden war – mit einer luftigen weißen Markise aus Stoff, die oben in anmutigen Falten gerafft war. Und der Boden des Innenhofs war mit Teppichen ausgelegt. Rosenvorhänge wurden aufgehängt und kleine Tische und Stühle für die Gäste aufgestellt. Die Beleuchtung war perfekt. Die Verwandten und Freunde der Familie trafen ein, bald war eine große Menschenmenge versammelt. Im gesamten Erdgeschoss des Hauses waren weitere der anmutigen goldenen Stühle verteilt.
Taimur und Anum saßen auf einem Sofa, das in dem Raum, in dem der Weihnachtsbaum stand, für sie vorbereitet worden war. Weitere gute Wünsche und Fotos folgten. Für mich war an diesem Abend der schönste Teil der Feier, als mehrere Mitarbeiter kamen, um dem Brautpaar zu gratulieren. Der Koch ebenso wie zwei Fahrer und zwei der Hausmädchen. Zwei von ihnen mit einem Blumenstrauß. Sie wurden alle nacheinander neben das Brautpaar gesetzt und es wurden Fotos geschossen. Als sie aufstanden, konnte man Tränen in ihren Augen sehen. Auch meine Augen wurden ein wenig wässrig. In Windeseile war es an der Zeit meinen Koffer zu schließen. Ich sah mich fast dazu gezwungen, mich auf ihn zu setzen. So viele Geschenke, die jetzt noch zu der ganzen Garderobe, die ich mitgebracht hatte, hineinpassen mussten. In dieser Nacht nahmen wir einen Flug nach Doha. Um drei Uhr morgens! Es waren viele Großnichten/-neffen dabei, darunter Haider und Natasha. Haider sollte Ende Mai seinen Abschluss an der Columbia University machen und dann in New York seinen Job beginnen. Die Atmosphäre der gemeinsamen Freude und des Glücks war ungebrochen. Der Abschied von meiner Schwester und von den Familienmitgliedern, die in Lahore leben oder länger bleiben, war sehr bewegend.
FÜR MEINE SCHWESTER ELIZABETH
Ein Dankeschön, das von Herzen kommt; von einem Herzen, das überquillt vor schönen Eindrücken
und Momenten, die mich für immer begleiten werden.
Beim Besteigen des
Flugzeuges stiegen mir die Tränen in die Augen.
Nur Tränen, die im Stillen vergossen werden, haben die Kraft,
die allertiefsten Gefühle auszudrücken.