St. Marx – vom Siechhaus zur Erfolgsbrauerei
Schon 1839 war Adolf Ignaz während einer Durchreise nach Ungarn, das erste Mal nach Wien gekommen. Wir wissen nicht, wie er den Kontakt zum damaligen Bürgermeister Ignaz Czapka aufnehmen konnte, fest steht jedoch, dass dieser ihm den Weg in die Residenzstadt ebnete und bis 1848 in vielen Belangen unterstützte (vielleicht war das durchaus beträchtlichen Vermögen, das A. I. bereits mitbrachte ausschlaggebend). Czapka, der seit 1838 an der Spitze der Stadt stand und 1843 als Ritter von Winstetten in den Adelstand erhoben wurde, brillierte im Gegensatz zu seinen Vorgängern durch sein Fachwissen und bemühte sich sehr um zunehmenden wirtschaftlichen Aufschwung. Er förderte alle, die etwas zum Fortschritt, der Finanzierung und die Industrialisierung der Stadt beitragen konnten und vermittelte Adolf Ignaz die brachliegende Brauerei des Wiener Bürgerspitals im Versorgungshaus St. Marx gegen ein geringes, bis 1844 befristetes Pachtentgelt von 100 Gulden. Zeitzeuge Wilhelm Kisch erzählt, dass 1840 in St. Marx ein schlichter Brauer aus der Provinz erschien, dem die Sorge um die Erziehung seiner Kinder in die Residenz getrieben, um sich hierbleibend niederzulassen. Er hatte genügend Kenntnisse, aber auch den nöthigen Fleiss und Willen, um sich der gesunkenen Bierproduction mit Erfolg anzunehmen. Er pachtete im Frühjahre die St. Marxer Brauerei. Mit rastlosem Eifer, dem selbst die Stunden des Tages nicht genügen konnten, arbeitete er an der Verbesserung der Biererzeugung. Seine Familie, zu der neben Ehefrau Marcelline bereits die drei Söhne Carl Ferdinand, Ludwig und Georg sowie die Töchter Therese, Maria und Emilie gehörten, folgte ein Jahr später mit einem großen, von starken Pferden gezogenen Wagen. Der älteste Sohn Carl Ferdinand war damals sieben Jahre alt und musste an den Raststätten für die kleinen Geschwister Milch holen. In Wien kamen dann noch drei weitere Töchter und ein vierter Sohn, August, zur Welt. Adolf Ignaz wollte seinen Söhnen in der Residenzstadt eine bessere Ausbildung und eine gesicherte Zukunft und seinen Töchtern Ehemänner aus der besseren Gesellschaft bieten, was ihm in Böhmen nicht möglich schien.
Es war dem Bürgermeister sicher ein Anliegen, die darniederliegende Bürgerspitalbrauerei mit einem Fachmann zu besetzen, um einen Beitrag zur Verbesserung des Wiener Bieres zu leisten, das mehreren Quellen zufolge eines der schlechtesten der Monarchie gewesen sein muss: Als Adolf Ignaz Mautner das Brauhaus nach mehrjährigem Stillstand wieder in Betrieb setzte, war für Bier damals eine trübe Zeit. Das Braugewerbe lag darnieder, das Wiener Bier zählte zu den am qualitativ schlechtesten Mittel-Europas und als natürliche Folge dessen war der Bier-Consum ein äußerst gering fügiger, der überdies durch die Concurrenz der so außerordentlich billigen österreichischen Weine noch weiter nachtheilig beeinflusst wurde. Das St. Marxer Bier dürfte einen Beitrag zu diesem schlechten Ruf geleistet haben, denn Maria Waechter berichtet von der Anfangszeit der Brauerei: Als Mautner die Brauerei übernahm und bei verschiedenen Wirten Anfragen hielt, ob sie nicht sein Bier beziehen wollten, erhielt er zur Antwort, dies könne nur geschehen, wenn die Bierfässer zur Nachtzeit eingelagert würden, damit es die Gäste nicht erfahren, dass man ihnen St. Marxer Bier vorsetze.
St. Marx lag damals noch innerhalb des Linienwalls und gehörte somit zu den Vorstädten Wiens. 1850, also zehn Jahre nach dem Eintreffen der Familie in der Residenz, wurde der Ort Teil des 3. Wiener Gemeindebezirks und so beschrieben: Am entferntesten Punkte von Wiens Linien gegen Morgen, steht in stiller Abgeschiedenheit, wie der Vorhof der Ruhe und des Friedens, das Versorgungs-Haus und Spital zu St. Marks. Hier finden wir noch Baureste aus dem Mittelalter, morsche rauchgeschwärzte verwitterte Mauerruinen, über deren Häupter Jahrhunderte dahinzogen. Jeder Stein, jeder Winkel erzählt da von längst verschwundenen Zeiten, von längst versunkenen Geschlechtern, von ihren Sitten und Gewohnheiten, von ihren Wünschen und Gefühlen, von ihren Leidenschaften und Irrthümern und wenn wir nur recht aufzuhorchen verstehen, wird uns alsdann der Geist früherer Jahrhunderte offenbar. Der Professor an der medizinischen Fakultät der Universität und Physikus des St. Marxer Bürgerspital Lorenz Novag erzählte 1826 in seinem Buch, dass Der erste Gegenstand, welcher beym Eintritt in den Hof zu St. Marks unserm Blick begegnet, das niedliche gothische Kircherl mit seinem grauen Thurme ist. Es steht auf einem fast viereckigen Rasenplatze, welchen die Mauern der Bräuhaus-Gebäude umschließen […]. So wie man aus der Kirche tritt, bemerkt man rechts zwey Räder, die manchem, der St. Marks besuchte, auffielen, und die doch nur ganz einfache Winden sind, durch welche aus dem Keller auf einem kleinen Wagen des Bräuers Bier herauf gewunden wird. Wer an der Bräukunst Freude findet, der trifft hier in den Gebäuden genug für seine Neugierde. Ein Pferd, das stets im Kreise geht, und eine Maschine thätig macht, die das Bier kühlt. Vier Ochsen, die immerfort die nähmlichen Tritte treten, und dadurch eine Maschine treiben, wodurch das Malz geschrotet, und das Wasser viele Klafter hochgetrieben wird.
Ein Brauhaus hat es vielleicht schon 500 Jahre (1394 wurde das „Bürgerspital zu St. Marks“ in einer Urkunde von Herzog Albrecht III. vom Getränke-Ungeld befreit), sicher aber 200 Jahre vor Adolf Iganz´ Übernahme gegeben. Es gab auch eine Taverne, die in einem Privileg Ferdinands I. aus dem Jahr 1543 erwähnt wird. Dieser Kaiser erlaubte, dass im Siechenhaus Wein und Pier Unngelt und Aller Beschwärung frey ausgeschenkt werden dürfe. 1617 gibt es wieder eine Erwähnung eines möglichen Brauhauses: Manche Reisende blieben gleich nach dem Eintritt durch die Marxer Linie im Bürgerspitalwirtshaus zu St. Marx hängen. Mit Sicherheit wissen wir, dass es ab dem Jahr 1707 eine dem Bürgerspital angeschlossene Zweigbrauerei gegeben hat, für die der dort bestellte Hauspfleger Johann Baptista Küffel dafür eine Jahresabrechnung alda Geld Empfang und Ausgaben von Ersten January bis letzten December anno 1707 erstellt hat.
Ab 1733 wurde die Brauerei nicht mehr in Eigenregie des Bürgerspitals geführt, sondern verpachtet. Der erste Pächter hieß Matthias Erhardt und wir kennen auch acht seiner Nachfolger, die jedoch teilweise mehr durch Raufhändel als durch rechtzeitige Bezahlung der Pacht auffielen, sie waren im Großen und Ganzen als Brauer jedenfalls nicht besonders erfolgreich. So wissen wir von den Herren Karl Kaltner und Franz Gierster, dass sie die Vorgänger von Adolf Ignaz Mautner waren und am Beginn des 19. Jahrhunderts sang- und klanglos in Konkurs gegangen sind. Ein für sehr viele Brauereien der damaligen Zeit auch unbewältigtes Problem war neben der fehlenden Hygiene in der Produktion die negative Beeinflussung der Umwelt. Auch hierfür gibt es einen anschaulichen Text bei Novag: Die Luft ist übrigens in St. Marks aus manchen Ursachen gegenwärtig nicht die beste. Die Senkgruben der großen Artillerie- Caserne, der Krotenbach, in welchen der Unrath fast zweyer Gebäude fließt, der nah gelegene Donau-Arm, der oft die Erdbeer Maß überschwemmt, und stinkende Sümpfe macht, die vielen Küchengärten, in welchen Kohlstrünke u. dgl. der Fäulnis überlassen werden, und einen Gestank verbreiten, der zu ersticken droht, die Stände für jede Gattung Schlachtvieh, die das Spital fast ganz umschließen, die Dünste, die sich im Bräuhaus so verschieden und häufig entwickeln, die Ausdünstungen selbst von mehr als 300 alten Menschen […].
1782 bis 1784 gab es dann große Veränderungen. Kaiser Joseph II. schickte die rund 200 Waisen in die neugegründete Pfarre Maria Geburt am Rennweg zur Obhut und die Kranken, Gebärenden sowie Irrsinnigen in das neu errichtete Allgemeine Krankenhaus in der Alser Straße. Da der Kaiser das Bürgerspital in der Kärntner Straße gänzlich aufhob, wurden die dort untergebrachten städtischen Pfründner in das nun leere St. Marxer Spital verlegt. Es wanderten somit schon im Frühjahre 1785 siebenundachtzig Männer und Weiber aus der Stadt in das Bürgerspital nach St. Marx, wo es nun ein „Versorgungshaus der verarmten Bürger und Bürgerinnen Wiens“ gab. Der wohl berühmteste Bewohner dieses Versorgungshauses war Josef Madersperger, der Erfinder der Nähmaschine, der hier 1850 völlig verarmt starb.
Mit Adolf Ignaz´ Übernahme änderten sich die Verhältnisse rasch und radikal.
1856 wollte er große Investitionen in Höhe von 130.000 Gulden vornehmen und verlangte von der Bürgerspitalswirtschaftskommission einen Zuschuss von 80.000 Gulden. Widrigenfalls drohte er, St. Marx zu verlassen, weil ihm die Gebäude, die ihm zur Verfügung standen, schon zu klein geworden klein waren. Die Kommission hielt es für das Beste, das Objekt an ihn, der sich bis dahin nicht einmal alle notwendigen Reparaturen bezahlen hatte lassen, zu verkaufen. Sie berechnete unter Zugrundelegung der durchschnittlichen Jahreserträgnisse aller jener Objekte, die Adolf Ignaz neben dem Brauhaus noch zu erwerben beabsichtigte, einen Kapitalwert von 275.000 Gulden. Beide Teile waren überzeugt, ein sehr gutes Geschäft zu machen. So kam der Kaufvertrag zwischen Adolf Ignaz Mautner, k. k. Landes-Fabrikanten und bisherigem Pächter des Bürgerspitalbrauhauses an der St. Marxer Linie in der Wiener Vorstadt Landstraße und der Bürgerwirtschaftskommission in Vertretung des Bürgerspitalfonds am 1. Oktober 1857 zustande. Er erhielt das Bräuhaus mit Braugerechtigkeit, das Wirtshaus mit Schankgerechtigkeit, das Backhaus mit Backgerechtigkeit, die Schmiede, das Versorgungshaus, die Gärten und Äcker und begann sofort mit umfangreichen Um- und Ausbauarbeiten. Gleichzeitig baute er eine Nutzwasserleitung von der Donau in die Brauerei, die eine der größten des damaligen Wiens war.
Auch alle Räume des Versorgungshauses wurden von Adolf Ignaz adaptierte. Als dann die Insassen des Altenheims in das neue Versorgungshaus in der Währinger Straße übersiedelt wurden, war er endgültig Herr im gesamten Gebäudekomplex. Dieser wurde von der Landstraßer Hauptstraße, dem Rennweg und der Viehmarktgasse begrenzt, wozu noch Lagerkeller in der Schlachthausgasse 39 – 41 und an der Ecke zur Paulusgasse gehörten. Die Brauerei unterschied sich trotzdem von den anderen Wiener Brauereien, weil sie nicht als solche gebaut, sondern erst langsam für industrielle Zwecke adaptiert worden war. Dabei wurde neben dem gesamten Baumbestand auch die gotische Markuskapelle, die aber bereits seit 1784 entweiht war, zerstört. An der Stelle der Kapelle wurde das neue Verwaltungsgebäude errichtet, die ehemalige Gruft wurde stark erweitert und zum „Hausbierkeller“ umgebaut. Die Kapelle wurde einige Jahrzehnte später in sehr ähnlicher Form einige hundert Meter entfernt wieder im Mautner´schen Kinderspital (Elisabeth-Kapelle) aufgebaut. Der alte Spitalsgarten diente als Stallung, Zimmermanns- und Tischlerwerkstätten, die Hausböden des alten Pfründnerhauses als Malztennen und Malzdörren und um Raum zu gewinnen, wurden mehrere Häuser niedergerissen.
Das Geld für den Kauf und Ausbau der Gebäude stammte zu einem großen Teil nicht aus der Bierproduktion, sondern aus der Hefeerzeugung.