Ursula Bertele v. Grenadenberg und José Manuel
Ursula Bertele von Grenadenberg Mautner von Markhof de Allendesalazar, schlichtweg „Ucki“, wie die liebenswürdige, bescheidene, lebens- und reiselustige Dame seit ihrer Kindheit von Familie und Freunden genannt wird, wurde als das sechste von sieben Kindern der Marceline Mautner v. Markhof und des Hans Bertele v. Grenadenberg am 7.12.1941 in Berlin geboren. Aufgrund der Kriegswirren wuchs sie die ersten Jahre bei ihrer Großmutter Emilie „Emy“ Mautner v. Markhof unter der Obhut des Kindermädchens Nana in Gaaden auf, bevor sie im August 1947 mit ihren Eltern nach England emigrierte, wo sie den Rest ihrer Kindheit und Jugend verbrachte. 1960 übersiedelte die Familie zurück nach Wien, wo sie den Familiensitz von Adolf Ignaz am Franziskanerplatz bezog. Nachdem sie im Dezember 1965 ihren spanischen Mann geehelicht hatte, begannen für sie viele Jahrzehnte des Reisens, die sie als Diplomatengattin in verschiedene Länder führten. Immer interessiert an den unterschiedlichsten Themen, verfasste sie über die Jahre hinweg vier Bücher in vier Sprachen. Ucki lebt seit dem Ableben ihres Mannes im Jahr 2008 vorwiegend in Madrid und Sepúlveda/Spanien. In der Folge erzählt Ucki über José Manuel und ihr gemeinsames Leben.
Es bereitet mir Freude, dass man mich gebeten hat über das Leben meines Mannes – und so auch zu einem Teil über das meine – zu berichten. Doch stelle ich fest, dass es keine leichte Aufgabe ist, das genau richtige Maß zwischen Zärtlichkeit und Sachlichkeit zu treffen.
José Manuel stammte von einer alteingesessenen Familie aus Guernica im Baskenland ab. Sein Großvater, Manuel Allendesalazar Muñoz de Salazar (1856 – 1923) war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein bedeutender Politiker und mehrfacher Minister sowie zweimaliger Ministerpräsident konservativer Regierungen gewesen. Sein Vater Andrés Allendesalazar, mit fast fünfzig Jahren bereits verwitwet und mit zwei Kindern gesegnet, heiratete ein weiteres Mal und so erblickte José Manuel noch knapp vor Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges, am 3.3.1935, das Licht der Welt. Kurz darauf gelangte sein Vater in die Gefangenschaft der Republikaner. José Manuel überlebte, im Garten des etwas entlegenen Familienbesitzes und unter dem zusätzlichen Schutz des Leibes seiner Mutter Carmen Loyzaga die Bombardierung von Guernica, die am 26. April 1937 stattfand. Noch vor Ende des Bürgerkriegs entkam sein Vater der Gefangenschaft und die Familie übersiedelte vorläufig nach Sevilla.
Als sich das Leben im verwüsteten Spanien dann langsam zusehends beruhigt hatte, nahm die Familie wieder ihren gewohnten Lebensrhythmus auf: die Sommer wurden in Guernica verbracht, der Rest des Jahres in Madrid. José Manuel wurde von einem Hauslehrer privat unterrichtet. Ein paar Jahre später übersiedelte man von Madrid nach San Sebastián. Eine von José Manuels schönsten Erinnerungen war es, von der Wohnung, welche direkt an einer Anhöhe oberhalb der herrlichen Bucht von San Sebastián lag, auf den berühmten Strand La Concha zu blicken. Trotz seiner Vorliebe für diese Wohnung, in der er sogar ein ganzes Zimmer, in dem er seine Zinnsoldaten-Sammlung aufstellen konnte, für sich alleine hatte, kam bereits dem elfjährigen Buben das allzu sehr verhätschelte Leben mit den so lieben aber ihm uralt vorkommenden Eltern und dem Hauslehrer zu eingeschränkt vor. Er wollte unbedingt wie alle Gleichaltrigen eine Schule besuchen. Nur mit Mühe konnte er dies durchsetzen. Und so begann für ihn ein neues Leben: im Jesuiten Gymnasium in San Sebastián. Zwar hatte er damit einen großen Sieg errungen, doch zu seinem ebenso großen Leidwesen zog die Familie daraufhin in eine andere Wohnung in der Innenstadt. 1952, nach bestandener Matura übersiedelte die Familie nach Madrid, da sich José Manuel für das fünfjährige Jus Studium entschieden hatte. Die drei Sommermonate wurden wie immer in Guernica verbracht, aber José Manuel zog es bereits damals auch in die Ferne. In Frankreich bereiste er Pau, La Rochelle und Paris um seine Sprachkenntnisse zu verbessern, später aus demselben Grund auch London und Dublin. Da er sich dazu entschlossen nach der Beendigung der Universität Diplomat zu werden, standen ihm eine Reihe sehr heftiger Prüfungen bevor, deren wichtiger Bestandteil auch Fremdsprachen waren.
Den Entschluss Diplomat zu werden hatte er nicht leicht gefasst, denn aufgrund seiner Liebe zu den Zinnsoldaten hätte er am liebsten eine Offizierslaufbahn eingeschlagen. Nur sehr langsam war er von dieser Idee abgekommen. Ab seinem 21. Lebensjahr absolvierte er zwei ganze Sommer hindurch seinen Militärdienst, da der Dienst für Studenten vorzugsweise auf 6 Monate beschränkt war. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Jus Studiums begann das Büffeln für die Staatsprüfung zur Aufnahme in die Diplomatische Akademie. Für die bevorstehende Prüfung des Jahres 1959 fand er sich genügend vorbereitet und trat – als einer von hunderten Anwärtern, die sich für ca. zwanzig Stellen beworben hatten – an. Er bestand nicht. Glücklicherweise für mich, wie sich ein wenig später herausstellen sollte. Doch diese Prüfung des Jahrgangs 1959 hatte auch verhängnisvolle Folgen. Mehrere der zwanzig aufgenommenen Kandidaten waren völlig unzulänglich vorbereitet gewesen und nur als Söhne oder Neffen von dem einen oder anderen Minister oder sonstiger einflussreicher Persönlichkeit durch Protektion durchgekommen. Es gab einen Skandal und als Franco davon erfuhr, geriet er in solche Wut, dass er die diesbezügliche Staatsprüfung einfach auf „unbestimmte“ Zeit einstellen ließ. Auf unbestimmte Zeit? Auf ganze vier Jahre! Die armseligen, hoffnungsvollen Kandidaten bereiteten sich jedes darauffolgende Jahr wiederholt auf diese Prüfung vor, die dann aber doch nicht stattgefunden hatte. José Manuels Eltern wollten ihm in dieser Zeit dazu verhelfen in einer der großen Banken von Bilbao unterzukommen, aber ihm war es aus eigener Kraft gelungen, eine Stellung in der Staatsverwaltung zu erlangen. Trotzdem studierte er immer brav weiter und nahm nun auch selbst Schüler auf. 1963 endlich wurde die so heiß ersehnte Staatsprüfung wieder angekündigt und José Manuel wurde mit dem zweitbesten Notendurchschnitt aufgenommen. Nach diesem Erfolg konnte der Sommer überglücklich mit endlosen Feiern begonnen werden und José Manuel kreiste munter mit seinem kleinen alten Seat 600 (spanischer Fiat), den er sich von seinen Ersparnissen nach neu erworbenem Führerschein gekauft hatte, durch die Gegend. Ende August hatte er zwei von seinen frisch gebackenen Diplomaten-Kollegen auf ein paar Tage nach Guernica eingeladen. Einer von ihnen schlug vor: “Fahren wir doch nach Santander. Dort, bei der dafür bekannten Sommeruniversität für Ausländer ist es recht lustig mit Schwedinnen und sonstigen hübschen jungen Mädchen anzubandeln.” “Setzt mich in Santander ab und versucht ihr zwei nur euer Glück,” meinte dazu einer der beiden Freunde, der ja von dort stammte.
Zu diesem Zeitpunkt war ich, gemeinsam mit einer Wiener Freundin, gerade für zwei Monate bei besagter Universität gelandet und entsprechend eines der hübschen Mädchen zum „Anbandeln“. Wir beide hatten am Dolmetsch Institut der Wiener Philosophischen Fakultät inskribiert und es noch nicht sehr weit gebracht. Bei den für uns verpflichtenden Philosophie Vorlesungen, begegnete ich manchmal auch meinem Onkel „Buwa“ Georg III. MM, der damals gerade seinen dritten Doktor machte. Besagte Freundin besaß einen kleinen roten Volkswagen, in dem wir Ende Juni 1963 munter “ins Blaue“ abfuhren. Doch nicht zu einem immer blauen spanischen Himmel, wie sich herausstellen sollte. Den ganzen Sommer hindurch regnete es fast ununterbrochen. Ich hatte ab August in eine private Unterkunft abseits der Universitätsherberge gewechselt, pflegte aber weiterhin netten Kontakt mit vielen der dortigen Studentinnen und besuchte sie noch öfters in der Herberge auf der kleinen Insel, untergebracht in den früheren königlichen Stallungen des ganz nahe gelegenen Schlosses. Trotz des Regens – hatte mich meine Jugend in England diesbezüglich ja abgehärtet – ging ich dort auch oft schwimmen. So auch am 23. August, als mich eine meiner schwedischen Freundinnen im Hof zur Seite nahm: “Du, würdest du mir einen Gefallen tun? Agneta und ich sind morgen mit zwei jungen Spaniern – angehende Diplomaten – verabredet, aber sie ist jetzt krank und kann nicht mitkommen. Ich will die jungen Männer nicht enttäuschen, wenn sie morgen nur eine Verabredung hier vorfinden.” Ich antwortete, dass es mir leid täte, ich aber bereits anderswertig verplant sei. Doch die Schwedin ließ nicht locker: “Aber es ist nicht am Abend, sondern für den Nachmittag. Sie haben vorgeschlagen hinüber nach Pedreña zum Golfplatz zu fahren und dort im Clubhaus einen Kaffee zu nehmen.” “Du ja, das ginge sich aus. Also bis morgen.” Weder José Manuel noch ich waren bei dieser ersten Begegnung von einander besonders eingenommen. Nach dem Golfclub waren wir vier dann noch im Hafen von Santander gegrillte Sardinen essen. Eine davon fiel mir vom Brot herunter, zuerst auf meine Bluse, dann auf meinen Rock und hinterließ dabei riesige unansehnliche Flecken. Insgesamt kein schöner Anblick. Adiós, adiós…
Aus unserem geplant zweimonatigen Aufenthalt wurden für meine Freundin und mich eineinhalb Jahre. Wir hatten uns in Madrid auf ein Abenteuer eingelassen: Im Zuge der nun rasch wieder aufblühenden spanischen Wirtschaft wurden uns – beide waren wir jeweils dreier bis vier Fremdsprachen kundig – bei der deutschen Handelskammer die Aufträge nur so nachgeworfen.
Und nun wieder zurück zu José Manuel. Er hatte noch zwei Jahre Studium an der Akademie vor sich, bevor er als vollwertiger Diplomat in die Ferne ausrücken konnte. Als zusätzliche Fremdsprache hatte er Russisch gewählt. Bereits 28 Jahre alt, war er bei den Eltern ausgezogen und wohnte in einer Studentenherberge. Wir trafen uns wieder, noch im selben Jahr, ganz zufällig auf einer Party. Und danach immer öfters. Die Weihnachtstage der Jahre 1963 und 1964 verbrachte ich zu Hause bei den Eltern in Wien. Beim zweiten Fest sah meine Mutter liebevoll zu, wie ich eifrig an einem großen dunkelgrünen Pullover strickte. Zu recht hatte sie etwas geahnt. Wie es scheint hat der Pullover gefallen, denn am darauffolgenden 16. Jänner 1965 konnte ich ihr berichten: “Mutti, wir haben uns verlobt!” Die meisten Kollegen José Manuels Jahrgangs wurden schon im Juni, gleich bei Abschluss des Studiums, ins Ausland versetzt. Nur die ersten fünf mit den besten Noten wurden vorläufig im Außenamt behalten. Glücklicherweise unter ihnen auch José Manuel. Unsere Hochzeit am 11. Dezember 1965 am Wiener Franziskanerplatz ist bereits beschrieben. Nach einer kurzen Hochzeitsreise auf die Kanarischen Inseln, zogen wir stolz in unsere kleine nagelneue Madrider Wohnung ein, die ich von den lieben Eltern als Mitgift in die Ehe einbrachte.
Im April 1966 wurde José Manuel mitgeteilt, dass er nach Lima versetzt werde. Wunderschön dachte ich. Furchtbar weit weg, aber ich hatte eine Vorliebe für lateinamerikanische Lieder gewonnen. José Manuel trat seinen neuen Posten als Konsul an und wurde dabei im Rang von einem Sekretär 3. Klasse zu einem 2. Klasse befördert. Wir verbrachten drei sehr schöne, lehrreiche und interessante Jahre in Lima. José Manuel hatte das Glück auf diesem ersten Posten unter zwei hervorragenden Botschaftern zu dienen, etwas, das man nicht hoch genug schätzen kann, denn viel färbt immer von den ersten Kontakten und Eindrücken ab. Immer im Auto unterwegs, machten wir verschiedene große, immer recht abenteuerliche Ausflüge in dem schönen Land. Einmal, noch ziemlich hoch oben in den Anden, kurz vor unserem Ziel Cajamarca, bei pechschwarzer Nacht, hatten wir einen “langsamen” Patschen. Wir hörten wie die Luft – Gott sei Dank nur mühevoll – heraussäuselte. Die Höhe auf der wir uns befanden, die unheimliche Stille und totale Einsamkeit waren mehr als Grund genug in Panik zu verfallen. Der aufrührerische kommunistische “Sendero Luminoso” war damals gerade kurz vor seinem Start. José Manuel hatte sicherheitshalber vorne im Handschuhfach eine Pistole, aber ich glaube nicht, dass er in ihrem Gebrauch sehr geschult war. Die Dunkelheit machte es uns nicht leichter den Reifen zu wechseln und trotz der obligaten Fahrschullehre wussten wir sowieso kaum wie. Dennoch erreichten wir, auf Gott vertrauend und das Beste hoffend, Cajamarca unversehrt.
Im August 1969, kurz nach der Mondlandung, wurde José Manuel nach Washington DC versetzt. In der so optimistischen Zeit für die Amerikaner folgten auch für ihn beruflich äußerst fruchtbare Jahre mit vortrefflichen Botschaftern und Kollegen. DC sollte die größte Botschaft bleiben, der er während seiner Laufbahn diente. Wiederum begann er als Konsul und avancierte während der vier Jahre, die wir in Washington verbrachten, zum Sekretär 1. Klasse. Für mich war es besonders schön mitzuerleben, wie sehr José Manuels Vorgesetzte ihn nicht nur für seine Leistungen, sondern vielmehr auch als Mensch schätzten. Als dann einer der Botschafter, mit dem gemeinsam wir in Lima stationiert gewesen waren, nach Ägypten versetzt wurde, bat er José Manuel mit ihm nach Kairo zu kommen. Obwohl José Manuel auch ihn seinerseits sehr schätzte, lehnte er dankend ab. Das faszinierende Leben und Treiben in Washington war ihm viel zu lieb, als es nach kaum einem Jahr wieder aufzugeben.
Nach Washington wurde er für drei Jahre nach Stockholm berufen. Für alle Mitarbeiter der dortigen Botschaft eine schwierige Position, denn die schwedische Regierung wetterte fortwährend gegen das Franco-Regime und mit dem Außenamt gab es kaum Kontakt. Beinahe jeden Sonntag erschienen Demonstranten vor der Residenz, vor allem chilenische Flüchtige, die nach dem Sturz von Salvador Allende im Jahr 1973 in Schweden aufgenommen worden waren und für den Aufmarsch bezahlt wurden. Nachdem Ministerpräsident Olof Palme, mit Sparbüchse und einem Plakat “Freiheit für Spanien” vor Stockholms größtem Kaufhaus auf und ab gewandert war, zog Spanien den Botschafter aus Schweden ab und José Manuel wurde zum Chargé d’Affaires ernannt. Zu diesem Zeitpunkt jedoch lag er mit einer Rückgratinfektion schwer erkrankt im Spital. Schwedens anerkanntester orthopädischer Chirurg rettete ihm nicht nur das Leben, sondern bewahrte ihn auch vor dem Rollstuhl. Wir beide danken dies Schweden ein Leben lang. Die schwedische Regierung blieb Spanien gegenüber auch über den Tod Francos (20. November 1975) hinaus weiterhin misstrauisch, obwohl José Manuel sein Bestes tat, um das Eis zu brechen. Zum Glück hatte er sich nach dem schweren Eingriff wieder vollkommen erholt, denn es war zwar eine interessante aber doch recht anstrengende Zeit für ihn.
Den Posten des Chargé d’Affaires sollte er bis zu seiner Rückkehr ins Außenamt nach Madrid, Mitte Juni 1976, behalten. Die darauffolgenden neun Jahre blieb José Manuel im Außenamt, in den letzten beiden Jahren leitete er als Generaldirektor die Abteilung für Nordamerika und Pazifik, der er nach seiner Rückkehr zugeteilt worden war. Dazwischen hatte er zwei hektische Jahre in der Presseabteilung verbracht, wo er mitunter auch offizielle Auslandsbesuche von König don Juan Carlos I. und der Königin dona Sofía in situ vorbereitete und an manchen dann auch teilnahm. Dies führte ihn zu einigen Ländern in Süd- und Zentralamerika, nach China und Kanada, nach Belgien und auch zum Staatsbesuch nach Österreich. Zum Opernball, der am Ende des Programms stand, wurde auch ich sehr netterweise eingeladen. Ein wunderschönes Erlebnis, oben in der Mittelloge, mit der Erinnerung an zwei Bälle, die ich in weißem Kleid und mit kleiner Krone unten am Parkett miteröffnet hatte.
Diese neun Jahre in Madrid waren für José Manuel hochinteressant und bildeten einen Höhepunkt seiner Karriere. Sie umfassten die gesamten Jahre, die in Spanien als die Übergangszeit bezeichnet werden und die ersten Jahre der sozialistischen Ministerpräsidentschaft von Felipe González. Als Generaldirektor u. a. für Nordamerika nahm José Manuel einige Male an den Verhandlungen, die González mit der Regierung der Vereinigten Staaten, die damals unter Reagan stand, teil.
1984 wurde er zum außerordentlichen Botschafter ernannt, um Spanien bei der Unabhängigkeitsfeier von Brunei zu repräsentieren. Im selben Jahr wurde er auch zu einem offiziellen Besuch nach Südkorea eingeladen. Mehr als diese paar Details kann ich hier nicht wiedergeben, mehr würde ein ganzes Buch füllen.
Im Jänner 1985 wurde José Manuel zum Botschafter für Schweden ernannt und im darauffolgenden Monat auch zum Botschafter und Leiter der Delegation zur Konferenz für Sicherheit und Abrüstung, die seit Jänner 1984 in Stockholm tagte. So konnte er erst im März seinen neuen Posten antreten, weil darüber hinaus Ende Februar der Staatsbesuch von Naruhito, dem damaligen Kronprinzen von Japan stattfand, dessen Vorbereitung ebenfalls ihm oblag. In Stockholm hatte sich seit seiner letzten Amtszeit die Stimmung gegenüber Spanien verändert. Bald nach José Manuels Ankunft fand der offizielle Besuch von Felipe González statt.
Nach beinahe weiteren fünf Jahren, überfüllt mit vielen denkwürdigen Ereignissen, erwarteten wir täglich die Nachricht seiner Versetzung. Noch Anfang Juni buchten wir einen Charterflug nach Kreta, bei dem man direkt von Stockholm nach Chania flog und dabei über Jugoslawien. Auf dem langen Flug machte jeder von uns beiden, zum Zeitvertreib, eine Liste mit Ländern, in die wir gerne ziehen würden und in welche nicht. Jugoslawien schien dabei nirgends auf, wurde völlig ausgeblendet. Gleich nach unserer Rückkehr von Kreta erfuhren wir von José Manuels Versetzung nach Belgrad und dass er zusätzlich auch als Botschafter für Albanien ernannt worden war.
Jugoslawien. Als José Manuel dort seinen Posten im September 1990 antrat, war das Zerbröckeln des Vielvölkerstaates schon weit vorangeschritten. Eine spanische Ausstellung über die erfolgreiche Übergangszeit des Landes, wurde einige Monate später möglichst weit weg vom belebten Belgrader Zentrum aufgestellt. Sie landete in einem unscheinbaren trostlosen Lokal in Zemun, am anderen Ufer der Save (ehemals Teil von Altösterreich). Neben seinem Antrittsbesuch vor Milošević in Belgrad, war es José Manuel noch gelungen in weiteren drei der insgesamt sechs Teilstaaten einen offiziellen Besuch abzustatten: Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzogowina. Montenegro und Mazedonien waren sich nicht mehr ausgegangen, denn im September 1991 zogen schon die Panzer gegen Kroatien. Am 16. Mai 1992 verließen alle Botschafter der EWG und der Vereinigten Staaten als Protest gegen Milošević Belgrad.
Wir kehrten nach Madrid zurück. José Manuel war weiterhin noch für einige Zeit Botschafter für Albanien, wo er im März des vorangegangenen Jahres seinen Antrittsbesuch gemacht hatte, den man regelrecht als abenteuerlich bezeichnen kann. Insgesamt hatten wir eine Woche in Tirana verbracht. Es war Usus der dortigen Regierung dem jeweiligen Botschafter mitzuteilen, dass Präsident Ramiz Alia ihn ab einem „gewissen Tag“ empfangen würde. Der entsprechende Botschafter fuhr also nach Tirana, wartete vier Tage geduldig auf die Berufung; am fünften Tag ließ er wissen, dass er wegen dringender Geschäfte wieder abreisen müsse. Prompt darauf kam die Antwort, dass man ihn am nächsten Tag empfangen würde… Im Juli 1992 kehrte José Manuel nochmals offiziell nach Albanien zurück, um der Regierung Spaniens Hilfspaket zu übergeben.
Im folgenden Jahr, im April 1993, erhielt José Manuel den hoch interessanten und sehr begehrten Posten des Generalkonsuls in New York City. Dieser wurde zu seinem Lieblingsposten. Nach New York folgten ab August 1998 vier Jahre als Generalkonsul in Frankreich, in Pau, im Südwesten des Landes. Pau, als Hauptstadt der Provinz Pyrénées-Atlantiques, hatte damals im Zusammenhang mit der zeitweiligen französischen Unterstützung der Terroristengruppe ETA politische Schwierigkeiten mit Spanien. Eine hausgemachte Bombe wurde einmal früh morgens vor dem Eingang zum Konsulat gefunden und konnte noch rechtzeitig deaktiviert werden. Nicht ungefährlich, da Konsulat und Residenz im selben Gebäude untergebracht waren und sich das Schlafzimmer des Konsuls oberhalb des Eingangs zum Konsulat befunden hatte. Ansonsten bestand die dortige Arbeit mehrheitlich aus kulturellen Belangen und dem Bestreben die historische Eisenbahnstrecke Pau-Somport–Pyrenäen wieder in Gang zu setzen. Insgesamt waren es vier schöne Jahre, die José Manuels Auslandskarriere beendeten und die Nähe zu Spanien wirkte sich positiv auf das Instandsetzen des zukünftigen Zinnsoldaten-Museums aus.
All die vielen langen Jahre hindurch war der größte Teil seiner schönen Zinnsoldaten-Sammlung zu einem Dornröschenschlaf verurteilt gewesen. In Schuh- und Zigarrenschachteln, sorgsam in Seidenpapier verpackt, wurden sie zuerst im Elternhaus in Guernica verwahrt und dann im Abstellraum des Kellers, den wir gemeinsam mit dem Kauf einer neuen Wohnung in Madrid erworben hatten. Einige Stücke aber führte José Manuel immer mit sich und kaufte auch während diverser Reisen weitere bei Antiquaren in London, Paris und auch Wien ein. 1994 realisierte sich sein Traum. Wir erwarben in der kleinen historischen Stadt Sepúlveda, unweit von Madrid, ein kleines Haus, das der Sammlung als Museum dienen sollte. Nach einer vollkommenen Renovierung 1998 und bald darauf auch mit Vitrinen ausgestattet, war das Gebäude bereit, seine neuen kleinen Bewohner aus Zinn und Blei aufzunehmen. Im März 2005 trat José Manuel seinen Ruhestand an und konnte auf eine interessante und erfüllte Laufbahn zurückblicken. Am 1. Mai 2003 öffnete das Museum erstmals seine Pforten. Ich habe bisher immer von Zinnsoldaten gesprochen aber José Manuel gab dem Museum ausdrücklich den Namen „Museo de figuras de juguetes antiguas“, kurz FiJAS (“Museum alter Spielfiguren”), da rund 30 % der Sammlung aus Zivilfiguren besteht. Es wurde ein schöner Erfolg und von Groß und Klein genossen. José Manuel erfreute sich an ihm bis zu seinem allzu frühen Tod, fünf Jahre später, am 19.6.2008. Er verstarb im Alter von 73 Jahren in Madrid an einem Herzinfarkt – für den Betroffenen die barmherzigste Art in das ewige Leben hinüber zu gehen.
José Manuel war ein Leben lang immer rege an Geschichte interessiert und hinterließ mehrere Bücher. Das erste schrieb er in Washington, es behandelt den Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898. Es beschreibt den rasch voranschreitenden Imperialismus der Amerikaner und das endgültigen Ende Spaniens als Weltmacht, welches durch den Verlust von Kuba und den Philippinen besiegelt wurde. Das Buch fand einen großen Leserkreis. Auch schrieb er über die politische Lage zu Zeiten seines Großvaters und sein Büchlein über Zinnsoldaten wird jetzt noch von Sammlern und Kennern als die „spanische Bibel” hinsichtlich der Materie beschrieben.
Was José Manuel und mich betrifft: Es gibt den Spruch, man muss im Leben ein Kind in die Welt setzen, einen Baum anpflanzen und ein Buch schreiben. Sowohl er als auch ich haben nicht nur mehrere Bäume angepflanzt und mehrere Bücher geschrieben, der Kindersegen jedoch wurde uns leider verwehrt. Doch kann ich aus ganzem Herzen sagen, dass ich jedem Ehepaar eine solch´ glückliche Ehe wünsche, wie sie uns zuteil wurde.
Ursula de Allendesalazar, Spanien im Herbst 2023