Carl Kupelwieser / Lebenserinnerungen 1913 / S. 17
In das erste Jahrzehnt des gegenwärtigen Jahrhunderts fiel meine Erbauung einer Villa in Brioni, wozu mich mein Bruder Paul schon geraume Zeit hindurch ermutigt hatte. Dessen Sanguinismus ließ ihn das Sturmumbrauste des empfohlenen Bauplatzes übersehen und so entstand auf der Punta Naso, einem der landschaftlich schönsten Plätze der Insel Brioni, ein elegantes Wohnhaus, indem wir einen Teil des Winters zubringen zu können hofften. Bald zeigte sich in ununterbrochener Folge alle erdenklichen Bau- und Konstruktionsfehler; die Heizungs- und Beleuchtungseinrichtungen versagten. Die sturmgepeitschten Regengüsse fluteten bei geschlossenen Fenstern in die Wohnräume. Bora und Scirocco zerstörten in unablässiger Aufeinanderfolge mit ihren weit ins Land hineinreichenden Salzspritzern die anfangs so schönen Hoffnungen erweckenden kostspieligen Gartenanlagen. Bald war meine arme Frau von rheumatischen Schmerzen in allen Gliedern befallen, und endlich vertrieb auch mich ein schlafraubender Nervenschmerz im Arme vollends von dem unwirtlichen Orte. Ich bot dem Besitz meinem Bruder zum Kaufe an, und entschloss mich darauf ihn seinen Kindern als Geschenk zu überlassen.
Das Jahr 1908 brachte mir die furchtbarste Episode meines Lebens. Ein vielleicht noch nicht genug geschulter Chauffeur unseres Automobils mochte die Festigkeit der Radreifen des Fahrzeuges nicht genügend kontrolliert und ungeachtet meiner wiederholten Ermahnungen langsamer zu fahren, doch ein zu schnelles Fahrtempo genommen haben. Kurz, eine Pneumatik löste sich auf einer Fahrt nach Laxenburg aus dem Radreifen, das Automobil stürzte in den Straßengraben und begrub meine Gattin und meinen Bruder unter seinen Trümmern. Letzterer wurde bewusstlos und schwerverletzt herausgezogen, meine Frau aber war eine Leiche. Der nur schwer verschwindende Schmerz um den Verlust dieser unvergleichlichen, edlen Frau war mein ferneres Leben bestimmend. Meine bis dahin auf Erweiterung gerichtete Tätigkeit machte nun einer meinem vorgerückten Alter entsprechenden Einschränkung Platz. Ich überließ einen Teil meines Vermögens meinen Kindern.
Paul Kupelwieser / Lebenserinnerungen 1917 / UNVERÖFFENTLICHTER TEIL
Die natürliche, einfache und verständige Weise, in welcher der Thronfolger damals um allerlei frug und sich für so vieles interessierte, hatte den besten Eindruck auf Direktor Zuffar gemacht. Auch ich fand nun die hohen Herrschaften sehr einfach und schlicht, verständig und liebenswürdig, und einen gleichen Eindruck schienen die hohen Herrschaften von Brioni ja auch von mir zu haben, und zu Tisch neben der Herzogin sitzend versicherte mich diese mehrmals des großen Gefallens, welches sie an Brioni fänden und dass sie nun bald und für längere Zeit wiederkommen wollten und dass ich von nun an auch damit rechnen könnte.
Die hohen Herrschaften hatten sich damals den eben fertig gewordenen Hoteltrakt, „Carmen“ genannt, angesehen und alles reizend gefunden. Es war indessen gegenüber von Carmen schon der Hoteltrakt, „Neptun II“ genannt, im Fertigwerden und ich bemühte mich sehr, dieses Objekt schon den Bedürfnissen so hoher Herrschaften besser entsprechend zu gestalten, als wie es die kleinen Räume in Carmen gestatteten, wo vor und hinter den Baulichkeiten Straßenzüge eine bequemere und breitere Ausdehnung unmöglich gemacht hatten.
Aber schon im Dezember 1909 und noch vor kompletter Fertigstellung „Neptun II“ ließ mich, damals in Wien, die Herzogin rufen. Sie wünschte im Februar 1910 die in Carmen schon gesehenen Wohnräume mit ihrem Gatten, ihren drei Kindern und einem nicht sehr zahlreichen Dienstpersonal zu bewohnen. Es schien ihr wichtig, welche Preise wir für diese Benützung fordern würden. Ich meinte die Herzogin könnte sicher sein, dass wir ihr absolut keine höheren Preise für die Benützung der Zimmer rechnen würden, als sie die gewöhnlichen Besucher auf Brioni bezahlten. Brioni sei ein erst entstehender Kurort, dies zwinge von vornherein zu billigen Preisen, die kaum einer sehr schwachen Verzinsung des investieren Kapitals entsprechen würden. Sie wünschte indes, an einer geeigneten Stelle die Aufstellung eines Herdes damit sie die Küche von ihrem eigenen Personal besorgen lassen könnte. Sie meine, sie hätte irgendwo einen so netten Gasherd gesehen, ob wir nicht einen solchen für sie aufstellen wollten. Nun besitzt Brioni keine Gasanstalt, aber wir hatten ja kürzlich in der Villa meines Bruders Carl einen Gasolinapparat aufgestellt. Auf diese Weise konnte ich ihren Wünschen Rechnung tragen, wozu ich mich erbot und für alles, was wir leisteten, mit der Ausnahme der Zimmerpreise, schlug ich vor, die Herzogin mögen dann jene Miete bezahlen, die sie für recht und billig erkenne.
Diesen gewünschten Gasherd hatte ich wirklich in Wien gekauft und rasch an einer bequem gelegenen Stelle aufgestellt. Er ist indes nie benützt worden, weil es den beiden Köchen der Herrschaften bequemer schien, den zweiten Herd der großen Hotelküche, sonst verwaltend nur von dem Mehlspeiskoch benützt, für ihre Zwecke in Anspruch zu nehmen, was auch in der Tat im Verlauf von drei Jahren, in welchen wir die hohen Herrschaften im Frühjahr in Brioni beherbergten, ohne wesentliche Schwierigkeiten zu bereiten, geschah.
Wenige Tage, nachdem ich diese Angelegenheit mit der Herzogin von Hohenberg besprochen hatte, kam der Intendant Ihrer Kaiserlichen Hoheit, Elisabeth Fürstin Windischgrätz, einer Enkelin des Kaisers, im Auftrage seiner Herrin, um Winterquartiere in Brioni, schon im Jänner beziehbar, zu erhalten.
Es konnten nur die Zimmer im Hotel „Neptun I“, welche Ihre Kaiserliche Hoheit Erzherzogin Maria Josepha im vergangen Frühjahr bewohnt hatte, in Betracht kommen. Aber anschließen war der Neubau von „Neptun II“ noch nicht beendet und ich sollte, bevor der Thronfolger kam, diesen Neubau schon etwas fertiggestellt haben, und so war in der Nachbarschaft von „Neptun I“ der Lärm der die Fußböden legenden Tischler und allerlei anderes Geräusch unvermeidlich. Ich machte auf diesen unvermeidlichen Lärm aufmerksam und empfahl dringend, den erstrebten Aufenthalt auf Brioni auf das nächste Jahr zu verschieben. Aber Ihre Kaiserliche Hoheit, eine energische und impulsive Dame, wollte es trotz meiner Warnung mit Brioni versuchen. Sie fand dann in der Tate den Lärm schwer erträglich.
Ihrem Wunsche, vorläufig die Quartiere des Thronfolgers zu beziehen, konnte ich nicht willfahren, weil auch dort noch eine Menge zu richten war, und so schied sie nach einigen Wochen mit ausgesprochenen Worten des Missfallens, was mir sehr leid tat, da mir sonst das temperamentvolle Wesen der ihre Kinder zärtlich liebenden und offenbar begabten Dame durchaus sympathisch war, was mich schon damals, ja auch die folgenden Jahre hindurch stets anspornte, ihr den Aufenthalt in Brioni so angenehm wie möglich zu machen. Sie hatte indes doch Brioni mit allem was damit zusammenhing, liebgewonnen. Es stand ihr bald die Villa meines Bruders Carl auf Punta Naso zur Verfügung, da derselbe es bequemer fand, in den Wintermonaten mit seiner Tochter und einem Stubenmädchen Hotelzimmer in der Nähe meiner Wohnung zu beziehen. Die Villa meines Bruders für den großen Haushalt der Fürstin immerhin sehr beschränkt, wurde von nun an alljährlich der Ort, welcher ihr trotz vieler Unbequemlichkeiten behaglich schien. Als einige Zeit später mein Bruder Carl, ohne mir etwas davon zu sagen, seine Villa meinen drei Kindern schenkte, und diese dieselbe wieder dem ihnen nach meinem Tode gemeinsamen Besitz von Brioni zuwendeten, war ich gerade im Begriff, im Einverständnis mit der Fürstin, durch Aufführung eines kleinen naheliegenden Hauses für einen Teil der Dienerschaft zu sorgen. Da begann der Krieg und schloss prinzipiell seither den Besuch von Gästen aus.
Anfangs Februar 1910 traf die Kaiserliche Hoheit, der Thronfolger mit seiner Familie in Brioni ein, und wir hatten mit größter Liebe und auch mit einem ziemlichen Aufwand von Geld alles so wohnlich und behaglich gestaltet, als es und nur irgend möglich war.
Ein Raum zwischen den von der Herzogin gemieteten Zimmern und dem großen Speisesaal mit vorliegender großer Terrasse, konnte während der Wintermonate von der verhältnismäßig kleinen anderen Gesellschaft des Winters leicht entbehrt werden. Mit Bildern von Charlemont geschmückt, gab er einen eigenartigen, aber doch reizenden größeren Salon und Gesellschaftszimmer ab; der große Speisesaal als Wintergarten dekoriert, konnte schon eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft des Thronfolgers aufnehmen und dieser, wie die Herzogin, hatten immer Worte der Anerkennung, ja der Dankbarkeit bereit, dass wir alles so hübsch und so bequem für sie eingerichtet hätten, viel hübscher als sie es erwarten konnten.
Kaum an das Land getreten, wünschte der Thronfolger, ich sollte ihm die Räume zeigen, die er mit seiner Familie bewohnen sollte. Die Zimmer flüchtig durcheilend, wurde er in dem Toilettenzimmer seiner Frau durch ein Bild gefesselt. Eine Gebirgslandschaft, ein junger schlanker Jäger auf einem Felsen sitzend, etwas entfernt zu seinen Füßen eine erlegte Gämse. Der junge Jäger war augenscheinlich das Portrait des Thronfolgers, etwa im Alter von vierundzwanzig Jahren, Gestalt und Gesichtszüge unverkennbar ähnlich. Ich glaubte der Herzogin eine Freude zu bereiten, das Bild ihres Mannes in ihrem hübschen Toilettenzimmer anzubringen. Offenbar erfreut durch das Bild, eilte der Thronfolger zurück, um seine Frau zu holen und ihr dasselbe zu zeigen und dieses schien ihr außerordentlich zu gefallen. Da das Bild im Lauf der nächsten Jahre noch eine Rolle spielt, will ich anführen, wie ich zu demselben gekommen bin.
Mein Bruder Carl hat einmal, um einem älteren durchaus nicht berühmten Maler aus einer Geldverlegenheit zu helfen, dieses Bild käuflich erworben. Es hatte als Landschaftsbild keinen bedeutenden Wert. Nur die Gestalt des Jägers war sehr hübsch und hat die übrige Schwächen des Bildes doch so weit kompensiert, dass es mein Bruder bei der Einrichtung einer neuen Wohnung über einem Kamin anbrachte. Einmal vor diesem Kamin eine Partie Bridge spielend, meinte mein Bruder, das Bild sei gegenüber dem großen, schönen Familienbild von Laslo doch vielleicht nicht ganz passend. Er wollte es gelegentlich durch einen Spiegel ersetzen. Dies gab mir die Gelegenheit, ihm ein Tauschgeschäft vorzuschlagen. Ich lieferte ihm den Spiegel, er mir das Bild, von dem ich hoffte, dass es der Herzogin in ihrem Toilettenzimmer Freude machen würde.
Erst viel später konnte ich erkennen, dass die Figur des Jägers eine sehr gelungene Photographie sei, die übermalt und so geschickt in die Leinwand des Ölbildes eingefügt war, dass man dies nur schwer erkennen konnte.
Der Aufenthalt der hohen Herrschaften, ich glaube, es waren fast acht Wochen, schien ihnen sehr zu behagen Ich hatte oft Gelegenheit, dem Thronfolger als Führer zu dienen und mit ihm zu sprechen. Sein zärtliches Verhältnis zu Frau und Kindern hatte etwas außerordentlich Gewinnendes. Die strenge Befolgung aller Riten und Gebräuche der katholischen Kirche geschah in unserer kleinen hübschen Kapelle, häufig unter Mitwirkung unserer Hotelkapelle, in sehr würdiger und feierlicher Form.
In dem Gefolge des Thronfolgers befand sich ein junger, sehr hübscher und gebildeter Geistlicher in der Funktion eines ungarischen Sprachlehrers, ein vorzüglicher Klavierspieler, der sehr oft in unser Haus kam, um ein wenig zu musizieren, da er das im Salon des Thronfolgers stehende Bösendorfer Klavier nicht oft und ungestört benützen konnte.
Den Eindruck, welchen ich von allen den hohen Herrschaften erhielt, war der denkbar günstigste, und wenn ich nach Wien zu meinen Sitzungen kam, konnte ich meinen Freunden kaum genug erzählen, wie einfach schlicht und verständig ich den Thronfolger fände, und dass ich die feste Hoffnung hätte, wenn er einmal zur Regierung käme, würde er sicher die Hand bieten, viele Rückständigkeiten, welche ich während meines ganzen bisherigen Lebens in meinem mir so lieb gewordenen Vaterlande zu beobachten Gelegenheit hatte, möglichst zu beheben.
Einige Tage vor dem 13. März, dem Geburtstag der Herzogin, kam der Sekretär des Thronfolgers im Auftrage seines Gebieters, um anzufragen, ob ich gestatten würde, dass von dem in dem Toilettenzimmer der Herzogin hängenden Bilde eine Kopie gemacht werde. Ich meinte, es sei vielleicht nicht nötig eine Kopie zu machen, denn es würde mir die größte Freude bereiten, da Original Seiner Kaiserlichen Hoheit zu überlassen. Und als ich am 13. März mittags zu Tisch geladen war, zeigte mir der Thronfolger das von der Wand genommene und auf den Tisch der Herzogin gestellte Bild, neben den anderen schönen Geburtstagsgeschenken stehend. Es war also nun Eigentum der Herzogin geworden, was mir nur Freude bereitete und ich konnte keine Ahnung haben, zu welch unangenehmen Erörterungen dieses Bild zwei Jahre später Veranlassung gab.
Wiederholt äußerten die hohen Herrschaften, dass sie sich in Brioni so wohl fühlten, wie zuträglich das Klima sei und dass leichte asthmatische Zustände des Thronfolgers, welche auch bei dem Aufenthalt desselben an der Riviera und in St. Moritz nicht völlig ausgeblieben waren, sich in Brioni nicht fühlbar machten.
Am dritten Tage morgens besuchte mich der Kanzleivorstand des Thronfolgers, Oberst Brosch und teilte mir mit, Seine Kaiserliche Hoheit denke doch nicht an die Erwerbung des vor einigen Tagen besichtigten Terrains. Er sei 49 Jahre alt und wollte schon etwas Fertiges haben und dies sei eben Brioni. Es sei der zukünftige Kaiser, mit dem ich es zu tun hätte und wenn sich derselbe etwas in den Kopf setze, so sei nichts Andres zu tun, als sich einfach zu fügen. Wenn Sie es so sehen würden wie ich, wie er stundenlang auf einer Bank sitzend, scheinbar seinen im Freien spielenden Kindern zusehend, in Wirklichkeit darüber brütend, wie er ohne zu große Opfer in den Besitz Brionis kommen könnte, so würden sie erkennen, dass sie seine Wünsche erfüllen müssen. Er begreife wohl, dass dies ein bitterer Kelch sei, den ich würde trinken müssen.
Obers Brosch bedauerte sehr, mir einen solchen Rat erteilen zu müssen, denn er halte es durchaus nicht im Interesse seines Herrn, dass zu den 18 mehr oder weniger kostspieligen Voluptarien desselben noch ein neunzehntes kommen würde. Was Brioni dem Thronfolger und dessen Familie heute schon an Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten biete, sei viel mehr, als er bei allen anderen dieser Voluptarien bisher zu beobachten Gelegenheit hatte.
Die von mir Aussicht gestellte Errichtung einer durchaus den Bedürfnissen entsprechenden Wohnstätte auf dem Castelier, wie ich es proponiert hatte, sei sicher eine ideale Lösung der Frage; indes, wie immer sich die Angelegenheit gestalten würde, könnte ich mich auf seinen besten Willen verlassen, alles Mögliche zu tun, damit ich nicht hart behandelt würde. Obschon ich wusste, dass meine Kinder sehr unglücklich wären, wenn ich Brioni verkaufen würde, war ich dennoch dazu bereit, Broni dem Thronfolger abzutreten, gegen Ersatz der von mir aus unseren Büchern und den Überweisungen der Eckompte-Gesellschaft nachweisbaren Aufwendungen an Geld, unter Verzicht auf eine Vergütung meiner in den letzten 17 Jahren geleisteten Arbeit.
Oberst Brosch fand dies sehr loyal und schien, sich von mir verabschiedend, sehr befriedigt, die ihm vom Thronfolger aufgetragen Mission erfolgreich erfüllt zu haben.
Ich beschäftigte mich nun in meinen Gedanken schon mit der Idee, einen Teil des für die Abtretung von Brioni zurück erhaltenen Geldes auf die Erwerbung jenes Terrains zu verwenden, welches ich dem Thronfolger so warm empfohlen hatte. Mit wesentlich kleineren Mitteln glaubte ich dort eine ähnliche Aufgabe, wie ich sie mir in Brioni gesetzt hatte, erfolgreich ausführen zu können, ja ich war überzeugt, auch dort etwas schaffen zu können, das an Schönheit Brioni nicht nachstand, vielleicht sogar übertraf. Aber meine Besprechung mit Oberst Brosch, die sicher dem Thronfolger genauestens mitgeteilt wurde, schien zunächst nicht irgend über das zukünftige Geschick Brionis zu entscheiden.
Ostern 1911 kam der Beichtvater des Thronfolgers, der Jesuitenpater Fischer in Begleitung es jüngeren, liebenswürdigen Kollegen. Fast gleichzeitig Hof-Garten-Direktor Umlauft, welcher schon einmal Brioni besucht hatte und großen Gefallen an meinen dortigen Arbeiten fand. Beide waren Gäste des Erzherzogs und es war das letzte Mal, dass ich, vom Thronfolger zu Tisch geladen, neben der Herzogin von Hohenberg sitzend, mich dieser Ehre erfreuen konnte.
Es waren wunderschöne Frühlingstage, Brioni so voll von Gästen, als es nur irgend unterbringen konnte. Alle die Riten und Gebräuche der katholischen Kirche, mit welchen dieselbe Ostern feiert, wurden mit einer durchaus poetischen Feierlichkeit geübt. Unter Anteilnahme vieler Marineoffiziere aller Grade, auch einer kleinen aber ausgezeichneten Elite der Musikkapelle der Marine. Ich konnte meine Freude haben, wie Vieles und wie Hübsches sich in Brioni abspielte, und auf alle unsere Kurgäste ersichtlichen Eindruck machte. Bei dieser Gelegenheit bat mich die Herzogin, das Möglichste zu tun, um alle diese Feierlichkeiten im nächsten Jahr nicht in der kleinen wohl sehr hübschen Kapelle, sondern in der schon ein wenig größeren, dem heiligen Germanus geweihten Kirche, welche die Jahrzahl 1483 träg, aber sehr verfallen war, vollziehen zu können. Ich versprach diesbezüglich mein Möglichstes zu tun. Wie mir später Herr Hofrat Umlauft erzählte, wurde derselbe gefragt, mit welchem Wert er Brioni schätzte. Hofrat Umlauft meinte, Brioni sei in seinen klimatischen Verhältnissen bei den gleichen Isothermen wie Lussin, dem Reichtum an reichlicher Bedeckung mit fruchtbarer Erde und seiner verhältnismäßigen Nähe von Wien, nach seiner Meinung 25.000 Kronen wert und Kaiserliche Hoheit könnte auch 30.000 Kronen dafür bezahlen. Dies waren allerdings Beträge, die weit über das Doppelte hinausgingen, was ich in Brioni investiert hatte, und diese, wie mir schien allzu hohe Schätzung war wohl die Ursache, dass seine Hoheit nicht mehr an einen Kauf dachte, sondern Wege suchte, wie das angestrebte Ziel auf andere Weise erreicht werden könnte. Wenige Wochen nach dieser Schätzung des Hofrats Umlauft erschien in der Pariser Ausgabe des „New York Herald“ ein Artikel, welcher dann auch in einigen österreichischen Zeitungen wiedergegeben wurde, dahingehend, die Gestaltung der politischen Lage Italien gegenüber lasse es dringend notwendig erscheinen, dass der österreichische Staat die Brionischen Inseln erwerbe. Die nicht für fortifikatorischen Zwecke benützten Teile der Inseln könnten dem Thronfolger überlassen werden, da ein Aufenthalt desselben sich für dessen Gesundheitszustand sehr günstig erwiesen hätte.
Ich musste auf eine Art Expropriation meines Besitzes gefasst sein, falls dieser Anregung Folge geleistet würde und ich war der Gefahr ausgesetzt, das mir mein so mühsam erworbenes Eigentum vielleicht weit unter dem Betrage der von mir aufgewendeten Mittel weggenommen würde. Dies veranlasste mich, meine diesbezüglichen Sorgen dem Beichtvater des Thronfolgers, Pater Fischer, mitzuteilen und vielleicht habe ich es der gütigen Vermittlung dieses Mannes zu danken, dass mir erspart blieb, was ich als schweres Unrecht empfunden hätte.
Der Hafenadmiral, Exzellenz von Ripper, sicher nach vielen Richtungen hin tüchtig, sehr fleißig und sehr ehrgeizig, glaubte sich das besondere Wohlwollen, ja die Dankbarkeit des Thronfolgers dadurch zu erwerben, dass er alles Mögliche tat, die weitere Entwicklung Brionis zu verhindern. Wie ich aus durchaus zuverlässigen Quellen erfahren hatte, war es sein Vorsatz mich mürbe zu machen, das heißt, mich so zu quälen, dass ich Brioni dem Thronfolger anbieten müsste und für jeden Preis, welchen mir derselbe dafür geben wollte, dankbar sein sollte. Die drolligen Schätzungen und Ziffern, mit welchen er hierbei rechnete, ließen sein völliges Verkennen der schon erreichten Bedeutung Brionis ersehen.
Seinem ganzen Naturell nach, immer bestrebt, seine in der Tat große Machtfülle jederzeit fühlbar zu machen, gefiel er sich als oberste Instanz der Festung Pola mit einem, schon in Friedenszeiten geübten Kriegsrecht über die bürgerlichen Rechtsanschauungen hinwegzugehen. Ich zweifle nicht, dass alle seine Maßnahmen der Ausfluss dessen waren, was er unter Patriotismus verstand. Mir gegenüber entschuldigte er sich wiederholt, auch noch bei seinem Abschiedsbesuch in Brioni damit, dass er alle Unannehmlichkeiten mir durchaus nicht gerne bereite, aber in der Ausübung seiner Pflicht bereiten müsste. Er, als oberster Festungskommandant müsste anstreben, dass im Umkreis der Festung keine Menschen wohnten, es kein Trinkwasser gäbe und keine Bequemlichkeiten, welche angeblich dem Feind irgend nützlich sein könnten; und gerade das Gegenteil von dem, was er anstreben müsste, strebe ich an. Schon damals erwiderte ich, dass sich alles, was ich geschaffen hatte und noch zu schaffen hoffte, gerade im Krieg sicher nicht den Feinden, sondern den Verteidigern als außerordentlich nützlich erweisen würde. So hatte es sich auch in der Tat, seit dem Ausbruch des Krieges, erwiesen. Es ist mir herzlich leid, dass Admiral Ripper, nicht durch die Erfahrungen des Krieges eines Besseren belehrt, schon nicht sehr lange nach seiner Pensionierung starb. Ich hielt ihn für ehrlich genug, dass er seinen Irrtum nicht nur eingesehen, sondern auch zugestanden hätte.
Die wiederholten Einstellungen des Baues von „Neptun III“, welche er zu Beginn veranlasst hatte, verzögerten und verteuerten den Baufortschritt sehr, ohne denselben auf die Dauer hindern zu können. Endlich entschloss ich mich, gelegentlich der Anwesenheit des Thronfolgers um Audienz nachzusuchen und dessen Hilfe bezüglich der Abstellung der mich auch sekundär schädigenden Maßnahmen von Ripper zu bitten. Der Thronfolger, offenbar geneigt, meiner Bitte auszuweichen, verwendete hierbei Worte, die ihn augenscheinlich selbst in Verlegenheit brachten, und die, dem Gespräch beiwohnende Herzogin veranlassten, ihren Gatten mit klugen Worten hilfreich beizustehen. Dies gab mir die Gelegenheit, der Herzogin den hier vorliegenden Rechtsfall genau zu erklären, was auf sie Eindruck zu machen schien. Durchaus nicht wissend, ob ich auf die Erfüllung meiner Bitte rechnen durfte, ließ ich dennoch den unterbrochenen Bau wiederaufnehmen und derselbe wurde von nun an in der weiteren Folge durch von Ripper auch nicht mehr gehindert. Ich hatte durchaus die Empfindung, ich hätte es in diesem Fall dem Rechtsempfinden der Herzogin zu danken gehabt, dass mir die erbetene Hilfe zuteilwurde.
Die schon seit Jahren in vielen Fällen erwiesene Neigung des Thronfolgers sobald sein Interesse im Spiel war, ein wenig von dem abzuweichen, was die große Menge aller Schichten dachte, wurde sehr häufig und wie ich glaube mit Unrecht dem Einfluss seiner Gemahlin zugeschrieben. Sie war nicht nur die schöne, geliebte Gemahlin und Mutter seiner Kinder, sie war gleichzeitig auch die treueste und gehorsamste Dienerin, ihres Herrn und die penibelste Beobachtung aller Gebote und Gebräuche der katholischen Kirche schienen nicht allein ihrem religiösen Empfinden entsprungen, sondern von der sehr klugen Frau auch als Mittel erkannt, sich den Schutz der sehr mächtigen katholischen Kirche zu sichern. Ein Schutz, der ihr einmal nötig werden könnte.
Es war dies, ich glaube die letzte Besprechung, die ich in diesem Jahre mit dem Thronfolger hatte. Ich musste nach Wien und konnte bei seiner Abreise nicht anwesend sein. Aber als er im nächsten Jahre mit seiner Familie wiederkam, war „Neptun III“ schon nahezu völlig bewohnbar. Nun war es eine schon viel größere Gesellschaft der vornehmsten Kreise Wiens, auch viele Reichsdeutsche, die Brioni besuchten.
Die alte Germanuskirche hatte unter Benützung vieler Steine und Reste aus dem Mittelalter, eine hübsche Sakristei erhalten. Außer den 14, vom Thronfolger geschenkten Kirchensesseln aus gebogenem Holz, wurden noch einfache, stilgemäße Kirchenbänke aus Eichenholz und ein von Frau Ludwig gestifteter Beichtstuhl aufgestellt, ein Kirchenchor eingebaut und das von mir seit Jahren wenig benutzte Harmonium musste die Orgel ersetzen. Aber die von mir bestellte Kopie eines sehr hübschen Altarbildes meines Vaters und der dasselbe umschließende Altar waren noch nicht fertig geworden. Indessen drängte die Herzogin auf die Fertigstellung und Gebrauchsnahme der Kirche, ließ in aller Eile auf Kosten Brionis für den Altar eine gemalte Gipsstatue eines segnenden Christus kommen und erwirkte in der kürzesten Zeit von dem Bischof von Parenzo die Einweihung der Kirche. Dies alles geschah in meiner Abwesenheit und als ich nach 14 Tagen wieder nach Brioni kam, war die Kirche geweiht und ein vom Staate mit 1200 Kronen jährlich dotierter Co-Adjuter der Pfarre von Fasana, welcher in Brioni wohnen musste, bestellt.
Bei der Abreise der hohen Gäste war ich wieder abwesend und mit denselben in diesem dritten Jahr außerordentlich wenig in Kontakt getreten. Nur einmal gelegentlich einer Begegnung teilte mir der Thronfolger mit, dass er den deutschen Kaiser eingeladen habe, gelegentlich einer Fahrt von Venedig nach Corfu ihn in Brioni zu besuchen. Er erwartete baldigst Nachricht ob seine Einladung Erfolg habe. Wenige Stunden nach dieser Mitteilung kam die telegraphische Zusage des deutschen Kaisers und einige Tage später erfolgte in der Tat dieser Besuch an einem herrlich schönen Tage, unter dem Kanonendonner einer größeren Zahl von Kriegsschiffen unserer Marine und unter lebhaftester Teilnahme und jubelnder Begrüßung des erlauchten Gastes auch seitens der etwa 400 Kurgäste, die in Brioni anwesend sein mochten. Der Kaiser war begleitet von einem seiner Söhne und dessen jugendlicher und sehr hübscher Gemahlin, dann seiner Tochter, ich glaube Fürst Fürstenberg, Graf Eulenburg und anderen Herren. Vom Kaiser angesprochen, konnte ich nur wenige Worte erwidern. Ein wenig mehr konnte ich mit der Tochter und Schwiegertochter des Kaisers sprechen und die Letztere sprach mir bei der Verabschiedung in liebenswürdigen, gütigen Worten das Gefallen aus, das sie an Brioni fand, indem sie meinte, sie würde viel lieber hier in Brioni bleiben, sie fände das Grün der Wiesen, und überhaupt die üppige Vegetation viel reizender, wie das graue Grün der Olivenhaine in Corfu. Im vorigen Jahr war ich, gelegentlich des Besuches des Königs von Sachsen vom Thronfolger zur Tafel geladen. Diesmal war es trotz der großen Zahl der Gäste unterblieben, was mir leidtat, da ich doch das größte Interesse für die Persönlichkeit des deutschen Kaisers hatte. Diesmal war ich tagsüber meist in Gesellschaft meines, leider schon sehr kranken Freundes Hagenbeck, welchen der deutsche Kaiser gleich bei seiner Ankunft unter unseren Kurgästen erkannte und mit besonderer Freundlichkeit ins Gespräch zog, und mich auch ein wenig mit ihm. Vormittags führte der Thronfolger in seinem Auto den Kaiser auf Brioni herum. Wie ich hörte, soll er demselben mitgeteilt haben, dass er beabsichtige auf Brioni sich eine dauernde Wohnstätte zu schaffen. Das Mittagessen wurde unter den Klängen einer trefflichen Tafelmusik sehr heiter genossen, immer beherrscht von den anregenden und geistreichen Worten des Kaisers, bei größter Beflissenheit des Thronfolgers und der Herzogin sich und alles, was Brioni bieten konnten, dem Kaiser interessant und angenehm erscheinen zu lassen. Der Kaiser soll dem Thronfolger auch gesagt haben: „Du hast es gut, von Wien aus bist du in 12 Stunden in deinem Paradies und ich brauche 4 Tage, bis ich nach Corfu komme.“ Nachmittags besuchte der Kaiser den Tiergarten. Hier machte Hagenbeck den Führer und wusste das Interesse des Kaisers so zu fesseln, dass der Thronfolger seine Ungeduld hierüber nur sehr schwer verbergen konnte. Es war in der Tat ein ausgezeichnetes Ereignis für Brioni, vom herrlichen Wetter begünstigt; alles schien gelungen und war harmonisch schön und ich kann die Hoffnung nicht völlig abweisen, die Wiederkehr eines so hohen und mir so lieben Besuches Brionis noch einmal erleben zu können.
Bald musste ich indes wieder nach Wien und als ich zurückkehrte, waren die hohen Herrschaften schon von Brioni abgereist. Aber in meiner Abwesenheit hatte der Thronfolger mit meinem Sohn Karl Fühlung genommen und dieser übergab demselben, eigenhändig und ganz kurz geschrieben, die wesentlichen Grundzüge einer Vereinbarung, welche, wie er glaubte, dem Thronfolger genügen könnte, und deren Annahme er seitens seines Vaters sicher zu sein glaubte. Es war im Grunde genommen, dasselbe, was ich schon im vergangen Jahre proponiert hatte. Die Erbauung einer Wohnstätte für den Thronfolger genau nach seinen Wünschen, mit der Überlassung eines größeren Komplexes um diese schlossartige Villa herum.
Ich hätte die finanziellen Mittel hierfür beizustellen, der Thronfolger die hierfür entliehenen Geldmittel zu verzinsen, so lange er diese Wohnstätte benützte. Die Dauer dieser Miete sollte vorläufig auf 20 Jahre lauten und der Thronfolger berechtigt sein, sie unter den gleichen Bedingungen, so lange er lebe, beliebig zu verlängern. Nach Ablauf dieser Miete hätte wieder Brioni in die Pflicht der Verzinsung und Amortisation gegenüber den das Geld vollstreckenden Banken an Stelle des Thronfolgers zu treten. Nur bezüglich der Wahl des Platzes wich dieser Vorschlag meines Sohnes auf Wunsch des Thronfolgers, von meinen ursprünglichen Vorschlägen ab. Nicht auf dem Castelier, welchen ich empfohlen hatte, sollte das Schloss mit seinem, dasselbe umgebenden Park liegen, sondern auf den Anhöhen der Halbinsel Paneda und die ganze Halbinsel, welche im Flächenraum etwa 1/5 von Brioni Grande betrug, mit Ausnahme der großen Weingärten, zu dem das Schloss umgebenden Park werden.
Der Thronfolger nahm die Vorschläge meines Sohnes Karl auf eine Segelpartie mit, schien von dem Entwurf meines Sohnes sehr befriedigt und behielt dieses Schriftstück, weil er es seinem Rechtsfreund senden wollte, um dieser Verständigung die nötige juristische Form zu geben. Bei dem Abschied von Brioni versicherte er meiner Frau, die mich vertrat, noch in sehr freundlichen Worten, dass er sehr glücklich sei, nun eine Verständigung erzielt zu haben. Als ich dies alles bei meiner Rückkehr nach Brioni erfuhr, war ich glücklich, dass diese, mir in den letzten 2 Jahren so viel Sorgen bereitende Angelegenheit eine befriedigende Ordnung zu finden schien. Der Thronfolger hatte in Wien auch seinem Rechtsfreund die von meinem Sohn geschriebenen Vorschläge übergeben, aber als dieser das auf Grundlage desselben und in seinen Details ausgebarbeitete Rechtsinstrument dem Thronfolger überbrache, sagte ihm dieser, er wisse von gar nichts und erinnere sich nicht daran, diesbezüglich irgendwelche Zusagen gemacht zu haben. Meine alten Sorgen waren also wiedergekommen und die Frage, welche Gefahren von dieser Seite Brioni noch entgegensehen würde, blieb ungelöst.
Schon einige Monate später erhielt ich durch den Brief des Obersthofmeisters des Thronfolgers die Mitteilung, dass er von seinem hohen Herrn beauftragt sei, das Bild mit der jugendlichen Gestalt des Thronfolgers, mit welchem ich das Toilettenzimmer der Herzogin geschmückt hatte, an dem der Thronfolger solchen Gefallen gefunden hatte, dass er eine Kopie desselben wünschte, an mich zurückzusenden. Der Wortlaut ließ erkennen, dass der Thronfolger sich vorbehalte, eventuell auch gerichtliches Vorgehen gegen mich einzuleiten. Wie ich später erfuhr, sind dem Thronfolger Gerüchte zu Ohren gekommen, es werde erzählt, dass er bei seiner Abreise das Bild, ohne mich irgend zu fragen, einfach genommen habe. Die böse Nachrede, so glaubte ich zu begreifen, konnte allerdings von der Örtlichkeit Brioni ausgegangen sein, dann aber sicher nur von dem eigenen Personal des Thronfolgers, das beauftragt war, das Bild von der Wand zu nehmen, einzupacken und nach Wien zu senden, ohne zu wissen, dass ich es in das Eigentum des Thronfolgers übergeben hatte.
Die große Sparsamkeit der Herzogin, wohl dadurch veranlasst, dass sie selbst über wenig Barmittel verfügte und an ihren Gatten höchst ungern mit der Bitte um Geld herantrat, und die für einen zukünftigen Regenten bis zu eine gewissen Grade höchst wertvolle Neigung und Geschicklichkeit, sich ein Maximum von Arbeitsleistungen dienstbar zu machen, mit einem Minimum der Entlohnung dieser Leistungen, hatte in der weiten, ja auch in der nächsten Umgebung des Thronfolgers eine Atmosphäre geschaffen, welche das Entstehen von Gerüchten aller Art, oft auch böswilligen, begünstigte, ja manches wahr erscheinen ließ, was es in der Tat nicht war. Den Brief des Herrn Baron Rumerskirch, dessen mir wenig taktvoll erscheinender Wortlaut mich kränkte, beantwortete ich überhaupt nicht. Aber der Herzogin schrieb ich, es sei mir seinerzeit eine Freude gewesen, ihr Toilettenzimmer mit einem mir so hübsch erscheinenden Jugendbild ihres Gatten zu schmücken. Es sei mir eine Freude gewesen, als die hohen Herrschaften solchen Gefallen an dem Bild fanden, und die größte Freude hatte es mir bereitet, dieses Bild ihrem Gatten ins Eigentum zu überlassen und dann als Geschenk dasselbe neben anderen Geschenken gelegentlich der Feier ihres Geburtstages zu bemerken. Es sei leider eine unvermeidliche Tatsache, dass sich in der Umgebung der hohen Herrschaften eine Fülle von Getratsche aller Art, mitunter auch böswilligem, entwickle. Das Klügste schien mir in einem solchen Fall, ein solches Getratsche gar nicht zu beachten. Von mir und meiner Familie könne sie sicher sein, dass solchem Gerede, wenn es zu meinen Ohren kommt, immer in entschiedener Weise entgegengetreten würde. Das Bild erhielt ich indessen wirklich zurück, und konnte auch später erfahren, dass in der Tat ein Versuch gemacht wurde, eine Anklage gegen mich oder meine Familie zu konstruieren, da mein Bruder Max sich in Klagenfurt einer gerichtlichen Einvernahme unterziehen musste, die indes zu keinerlei Resultaten führte. Es war mir klar, dass nun Brioni in der nächsten Zeit den so ehrenden und durchaus erwünschten Aufenthalt des Thronfolgers würde entbehren müssen.
Die nächsten beiden Jahre verbrachte derselbe den Spätwinter auf dem Schloss Miramar bei Triest. Aber kurze Zeit vor seiner so unerwarteten und Schrecken erregenden Ermordung, kam er nach Brioni, bestieg nicht das Land, ließ aber seine Kinder die Insel betreten, die in Gesellschaft unseres liebenswürdigen Vizepfarrers, Pater Krallinger, unseren Tiergarten und andere, ihnen liebe Örtlichkeiten Brionis besuchten. Aus vielerlei Mitteilungen aus der Umgebung des Thronfolgers konnten wir erkennen, dass die Liebe desselben für Brioni nicht völlig erloschen sei, und dass wahrscheinlich Brioni im kommenden Jahre wieder die Ehre seines Besuches zuteilgeworden wäre, wenn nicht jene schrecklichen Ereignisse eingetreten wären, welche wir alle seither erlebt und tief betrauern. Nur noch einmal, es war das letzte Mal, hatte ich Gelegenheit, den Thronfolger und seine ganze Familie zu sehen und zu begrüßen, nicht aber, zu sprechen. Es war mir durch Vermittlung meines Bruders Karl ein mich sehr interessierendes Buch mit dem Titel „Sieben große Staatsmänner“ untergekommen. Der Name des mir bisher unbekannten amerikanischen Autors war Andrew White. Die Fülle des vielseitigen Wissens der geschichtlichen Entwicklung Europas in den letzten Jahrhunderten, die Klarheit und vornehme Höhe des Standpunktes, zu dem sich er Autor, auf einer reichen Beobachtung fußend errungen hatte, machte tiefen Eindruck auf mich. Ich war immer der Meinung, dass es die Pflicht jedes denkenden Menschen sei, nicht nur in der gesellschaftlichen Schichtung, der er selbst angehört, und in der Schichtung, die unter ihm liegt, sondern auch in jener, die über ihm steht, soviel als möglich anregend zu wirken, und diese Pflicht habe ich immer treu erfüllt, auch in dem mir zuteil gewordenen Verkehr mit dem in gesellschaftlicher Stellung so hoch über mir stehenden Thronfolger, indem ich ja in dem zukünftigen Kaiser von Österreich-Ungarn, die für die Scholle meines, im Laufe der Jahre mir immer teurer werdenden Vaterlandes, wichtigste Zelle einer großen staatlichen Organisation erkannte. Dieser Zelle die größte Aufmerksamkeit, ja Hilfe zuzuwenden, erweckte in mir den Gedanken, das, mir so lehrreich scheinende Buch, von welchem eine Übersetzung in deutscher Sprache nicht existierte, zu übersetzen, um es dem Thronfolger, der nicht Englisch sprach, noch las, zugängig zu machen. Es waren in der Regel die Nachtstunden zwischen halb elf und halb eins, in welchen ich, völlig ungestört, an dieser Übersetzung arbeitete. Dieser Arbeit ging einige Wochen hindurch eine angenehme Plauderstunde voraus, die ich mit Frau Emilie von Gutmann und deren Schwester, Baronin Ferstel, auf der Terrasse unseres Hotels verbrachte, an deren Gesellschaft sich auch ein, mit diesen Damen sehr befreundetes junges Mädchen, Baronin Gertrud Haupt-Stummer angeschlossen hatte, mit welcher mich bald eine von derselben angeregte warme Freundschaft verband. Dieser Freundschaft verdanke ich seither den Empfang vieler lieber und mich immer anregender Briefe, aber auch wärmere Beziehungen zu Frau Gutmann, einer besonders liebenswürdigen Dame und zu ihrem Gatten, Max Ritter von Gutmann, mit welchem ich seit meinem Abgange von Witkowitz fast allen gesellschaftlichen Kontakt verloren hatte. Nun boten mir die ganze Familie Gutmann, die einfache Güte des Hausherrn, die geistvolle und wahrherzige Art der Hausfrau und deren so wohlerzogene und hübsche Kinder den Reiz einer ganz seltenen harmonischen Erscheinung, wie ich es in anderen Familien kaum zu beobachten Gelegenheit hatte. Der Wunsch der Frau von Gutmann, Meister Zumbusch sollte eine Büste von mir anfertigen, führte zu einem 5 wöchentlichen Aufenthalt desselben in Brioni und brachte mir und auch meiner Frau die große Freude eines intimeren Verkehrs mit dem großen Künstler, welchem der Aufenthalt in Brioni, wie er mir wiederholt versicherte, die größte Freute bereitete, die er seit Jahrzehnten erlebt haben wollte. Es war leider die letzte, und wie ich glaube, sehr vollendete und mit größtem Fleiß ausgeführte Arbeit des schon 83-jährigen Künstlers.
Der von Zumbusch mit mir in Aussicht genommene nächste Winteraufenthalt desselben in Brioni war zu meinem großen Schmerz nicht mehr möglich. Eine allmähliche unaufhaltsame Erschöpfung der Lebenskraft mit dem im Frühjahr folgenden Erlöschen derselben, war nicht mehr abzuwenden. Aber der Gedanke, das dieser, mir immer so besonders anziehend erschienene Mann Brioni in seinem Frühsommerschmuck noch in allen seinen Reizen sichtlich mit Freude genossen hat, ist mir auch heute noch erfreulich.
Dass und wie mein Anteil der Übersetzung der „Sieben großen Staatsmänner“ ein verhältnismäßig kleiner wurde, kann aus der Vorrede des Buches entnommen werden. Von den drei ersten Exemplaren, die mir der Verleger sandte, brachte ich das erste dem Sekretär, Nikic, des Thronfolgers begleitet von einer brieflichen Bitte, dasselbe dem Thronfolger zu übergeben. Der Wunsch, dem Thronfolger in irgendeiner Weise dienlich zu sein, hätte mich veranlasst, ein für Jedermann, aber auch für ihn sehr wertvolles Buch in die deutsche Sprache zu übersetzen. Als ich aus der Kanzlei des Sekretärs heraustrat, schritt eben der Thronfolger mit seiner Familie an mir vorüber und meine ehrfurchtsvolle Verbeugung wurde mit einem etwas erstaunten Gruß erwidert. Irgendeine Bestätigung des Empfanges des Buches habe ich nicht erhalten, musste aber wohl annehmen, dass es an seine Adresse gelangt war. Ich kann mir indes vorstellen, dass dasselbe ebenso bei Seite gelegt wurde, wie alle meine Anregungen, durch ein einfaches warmes Wort, aus dem Munde des zukünftigen Kaisers, den guten Willen zu zeigen, augenscheinliche Übelstände zu bessern, niemals einen Widerhall bei demselben fanden. Es hatte den Anschein, als würde sich sein Interesse vorwaltend nur den vielerlei Faktoren zuwenden, die ihm dienen konnten, sich hoch über alle Menschen zu stellen und dies Interesse war dann immer lebhaft und zielbewusst. Das Wohl und Wehe der Anderen schien ihm eher gleichgültig. „Je tiefer die Anderen standen, desto höher musste er erscheinen“. – So meinte der vieljährige Chef der Militärkanzlei des Thronfolgers, ein sehr fähiger und treuer Diener seines Herrn, besorgt, um die Zukunft desselben. Ich konnte mich oft des Gedankens nicht völlig erwehren, es könnten die ersten Spuren eines körperlichen Leidens sein, welche schon Jahre vor der sicheren Erkennbarkeit desselben, wie bei meinem armen Schwiegersohne letztlich, vieles erklärlich und entschuldbar escheinen lassen.
Das zweite Exemplar des erwähnten Buches sandte ich, wie versprochen an meine junge geistvolle Freundin Baronin Gertrud Haupt-Stummer. Das dritte Exemplar überbrachte ich meinem, mehr als 80- jährigen, von mir sehr verehrtem Freunde Professor Eduard Süss und von beiden, aber auch von verschiedenen anderen, erhielt ich bald in lieben Worten die Bestätigung des hohen Wertes, welchen das Buch besaß und liebe Worte des Dankes, dass ich ihnen die Kenntnis desselben vermittelt hätte.